von Bengt E. Bethmann
Einleitendes
Inzwischen fällt es auch ‚Normalverdienern’ in Deutschland schwer, Wohnraum zu mieten. Besonders die hippen, urbanen Zentren der Republik verzeichnen enorme Mietpreisanstiege. In drei beliebten Berliner Stadtteilen haben sich die Mieten in zehn Jahren sogar verdoppelt.[1] Laut Statistik muss ein Durchschnittsverdienender heute schon rund ein Drittel seines gesamten Einkommens für die Miete seines Wohnraums ausgeben; Tendenz steigend. Selbst Interessenvertreter des Kapitals schlagen inzwischen Alarm, weil sich die steigenden Mieten negativ auf die Entwicklung der Wirtschaft auswirken. Die Effektivität der Arbeiter für Staat und Kapital, die für den ‚Produktionsstandort Deutschland’ arbeiten, leide demnach aufgrund der momentan angespannten Lage am Immobilienmarkt. Der ‚Jobboom’ sei gefährdet, und Jobs, die nur ein kleines Gehalt versprechen, seien, weil man mit ihnen keine Miete mehr covern kann, am Verschwinden. Frits Scholte, Geschäftsführer des Personaldienstleisters Manpower Group Deutschland, sagt: „Die Personalnachfrage stagniert oder ist sogar rückläufig, aus diesem Grund.“[2]
Die Politik versucht, auf die Entwicklung reagieren. Die SPD wirbt inzwischen mit dem Slogan: „Wohnen bezahlbar (…) machen.“[3] Das in Zukunft zu realisieren dürfte schwierig werden. In einer vielschichtig verketteten kapitalistischen Volkswirtschaft liegt das Problem tief in ihrer Struktur. Man muss dafür mehr als nur an einigen Stellschrauben drehen. Mieten und Immobilienpreise können in einer sich schnell verändernden Welt nur mit Negativfolgen für andere Bereiche eingefroren werden. Momentan boomt das Geschäft mit dem Wohnraum aber vor allem deshalb, weil andere Branchen, in denen man Geld anlegen kann, gewinnmäßig stagnieren. Um Anleger anzuziehen bieten Banken gute Gewinnanlageoptionen in der Immobilienbranche über Niedrigzinsen an. Die vielen Privatanleger erhoffen sich mit dem Immobilienkauf langfristig abzusichern und ihrer drohenden Altersarmut vorzubeugen. Diese Einstellung zur Privatfürsorge durch Eigentum wird staatlich gefördert. Die ‚Privatfürsorgler’ sollen das inzwischen gewaltige Loch in der bundesdeutschen Rentenkasse helfen abzufedern.[4]
Selbstverständlich werden aber nicht nur Privatleute durch die attraktiven Niedrigzinsen in den Immobilienmarkt gezogen. Der Boom hat auch viele große Wohnungsgesellschaften, wie beispielsweise die Deutsche Wohnen oder Vonovia, entstehen lassen. Das Geschäft mit der Not der Wohnungssuchenden zieht börsennotierte Unternehmen an, die durch die Niedrigzinsen mit dem Immobilienkauf und der anschließenden (Massen-)Vermietung des Eigentums Geld verdienen möchten.
Doch trotzdem kann man nicht alleine auf die großen und kleinen Anleger in Wohnraum schauen und mit dem Finger auf sie zeigen, wenn man die Miet- und Preiserhöhungen von Wohnraum kritisiert. Zum einen sind sie nicht für die gesellschaftlichen Entwicklungen verantwortlich, die der Immobilienbranche zum Boom verholfen haben. Zum anderen spielt der Staat eine nicht unerhebliche Rolle bei der Steigerung der Werte der Immobilien. Er ermutigt die Bürger nicht nur zum Kauf, um sich damit als ‚Privatfürsorgler’ Eigentum an Wohnraum für die Rente zuzulegen. Der Staat verdient auch immer, und nicht gerade wenig, über die erhobene und die nach Konjunkturlage steigende, bzw. die Immobilien immer wieder neu bewertende, Grundsteuer kräftig mit. Selbst die anfallenden Notarkosten beim Übertrag des Eigentumstitels lassen sich in die staatlich vorgeschriebenen Ausgaben auf dem Immobilienmarkt einberechnen, weil der Staat die notarielle Beglaubigung bei der Eigentumsüberschrift erst verlangt. Staat, Kapital und vermögende Privatleute nutzen insofern gemeinsam den momentanen Bau-, Verkaufs- und Mietenboom durch die ökonomische Lage auf dem Weltmarkt aus.
Obwohl es die momentanen Konstellationen des kapitalistischen Marktes sind, die die problematischen Folgen für die Mieter mit sich bringen, liegt die Problematik woanders. Die hohen Mieten und Kaufpreise sind ein Phänomen in der bürgerlichen Gesellschaft, die das Privateigentum zur Basis ihrer Ökonomie erklärt hat. Das rücksichtslose Geschäft mit dem Wohnraum ist insofern kein neues Phänomen, das sich erst heute durch die schwindenden Anlageoptionen als ein umfassendes gesellschaftliches Problem zeigt. Seit der Konstitution der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft existiert das allgemeine, verfassungsmäßig verbriefte Recht auf (Privat-)Eigentum an Wohn- und Gewerbeimmobilien. Das Eigentum an einer Immobilie macht diese zur Exklusivität für ihre Eigentümer, die das ausschließende Recht zu ihren Gunsten anwenden können. Der Nationalstaat garantiert den Grundbesitzern beispielsweise, abgesichert durchs installierte demokratische Rechtssystem, einen exklusiven Mietzins auf etwas, das bis auf den notariellen Eintrag ins Grundbuch keinerlei Aufwand entschädigt. Mit der Exklusivität des Eigentums wird das Immobilieneigentum in der kapitalistischen Gesellschaft zur Ware.
Grund und Boden sind allerdings ziemlich ungewöhnliche immobile kapitalistische Waren, die sich im Sammelsurium der Warenwelt von den mobilen kapitalistischen Waren und Werten wesentlich abgrenzen lassen. Der Wert der ganz gewöhnlichen, mobilen Waren wird bei Marx im Kapital durch ein Drittes (tertium comparationis) bestimmt, das beide Waren einander vergleichen lässt. Nur, weil der Wert der Ware in diesem Dritten sein fundamentum in re hat, lassen sich die gesellschaftlich gebräuchlichen Dinge miteinander zu ihren Werten austauschen, ohne dass Willkür oder gar Betrug dabei eine Rolle spielen. Das vergleichbare Dritte der Wertbestimmung ist die gesellschaftlich notwendige menschliche Arbeitszeit, die in die nützlichen Dinge zu ihrer Herstellung jeweils durchschnittlich eingeflossen ist. Es gilt also ein quantitativer allgemeiner Standard bei der Herstellung der Waren, ein gesellschaftlicher Durchschnitt, der immer Modell für den Wert der gewöhnlichen Waren steht. In der Wertbestimmung der Waren steckt allerdings ein gesellschaftliches Herrschaftsmoment, das den gesellschaftlichen Reichtum trotz des Äquivalententauschs generiert. So enthält der quantitative Wert, zu dem die Dinge als Waren auf dem kapitalistischen Markt getauscht werden, immer schon einen ihm immanenten Mehrwert. Dieser Mehrwert repräsentiert den Anteil der Arbeitszeit des Lohnarbeiters, die über seine notwendige Arbeitszeit zu seiner eigenen Reproduktion hinausgeht. Es handelt sich bei der Mehrarbeit an den Wertprodukten nicht (nur) um Überstunden des Arbeiters, also nicht (nur) um Arbeitszeit, die über die vertraglich vereinbarten Stunden hinaus geht, sondern um eine schon den vertraglichen Rahmenbedingungen immer immanente Mehrarbeit. Diese Mehrarbeit ist überhaupt erst für den Reichtum der kapitalistischen Gesellschaften verantwortlich (und ist nicht mit dem Reichtum Einzelner zu verwechseln!). Der hinzugefügte Mehrwert ist deshalb auch nicht Resultat des Fleißes der Arbeiter, sondern er ist durch die vertraglich festgelegten Arbeitszeiten implizit einkalkuliert. Die Gewinnung des Mehrwerts ist insofern auch kein juristisch zu ahndender Betrug der Kapitalisten am ‚Arbeitnehmer’. Die Mehrarbeit ist und bleibt ein ganz legaler und gegenständlicher Zwang, der mit den Arbeitsverträgen durchgesetzt wird, denn: „Kein Kapitalist, der bei Sinnen ist, würde Arbeitskräfte bezahlen, wenn er nicht von ihrer Anwendung in der Produktion Gewinn sich verspräche, denn ohne solchen Gewinn würden sie sein Kapital aufzehren und ihn in den Konkurs treiben.“[5] So werden Eigentum Ware Arbeitskraft gegen Eigentum Lohn als Tauschäquivalent des Eigentümers an Produktionsmitteln getauscht – und der Lohnarbeiter zur Produktion von Mehrwert um seiner Reproduktion willen genötigt.
Doch was macht den Unterschied in der Wertbestimmung von immobilen und mobilen Waren aus? Das Marxsche Modell der Preis- bzw. Wertbestimmung gilt zu weiten Teilen auch für die immobile Ware: die gewerbliche Errichtung des Wohn- oder Industrieraums, d.h. der von den Arbeitern erpresste Mehrwert bei der Bebauung der Grundstücke, sowie die Betriebskosten (Instandhaltung der Immobilie, Wasser, Strom, Gas) dieser Immobilien sind im Preis/Wert des Wohn- oder Industrieraums inbegriffen. Der Ware Wohnraum kommt aber trotzdem eine gewisse Eigenheit zu, die über die bekannte Wertbestimmung der Ware im Kapital hinaus geht. Der ursprünglich frei verfügbare Boden, auf dem die Immobilie errichtet wurde, hat bereits oder bekommt fortan einen Preis, dem allerdings nicht eine quantitative Wertbestimmung korrespondiert. Grund und Boden sind nicht durch eine allgemein menschliche Arbeit am Gegenstand entstanden. So bekommen Grund und Boden Qualität, ohne dass wertbildende Quantität je in diese einging. Durch diese Abwendung von der abstrakt als Grundlage der Wertbestimmung geltenden menschlichen Arbeit verlässt man die Marxsche Werttheorie bei der Bodenbewertung.
Der Bodenpreis ist somit ein reines Politikum. Deswegen tut sich die bürgerliche Philosophie mit der Rechtfertigung der willkürlichen Bodenverteilung nach den Bodenreformen schwer. Denn die entscheidende Frage, warum denn der Boden in der bürgerlichen Gesellschaft nicht frei verfügbar, sondern zum (Privat-)Eigentum mit Ausschließungsklausel für andere wird, lässt sich aus der Immanenz der bürgerlichen Gesetze, aus Eigentum, Recht und Freiheit, nicht erklären. Marx zeigt in dem Abschnitt über die ursprüngliche Akkumulation auf, dass man sich den Grund und Boden über einen kurzen Zeitraum in der Geschichte willkürlich, mit Gewalt aneignen konnte.[6] Das wiederum reflektieren bürgerliche Philosophen nicht. Ihre Rechtfertigungen des bürgerlichen Privateigentums an Grund und Boden werden zu Apologien der gesellschaftlichen Herrschaft und der aneignenden historischen Gewalt. Der liberale Vordenker John Locke liefert dafür den besten Beweis. Alle seinem Beispiel folgenden liberalen Theorien sind Variationen seines liberalistischen Denkens. Locke verteidigt die gewaltsame Aneignung des Bodens durch Wenige im Zuge der bürgerliche Revolution und ihren Bodenreformen. Für seine Verteidigung der Expropriation stellt er die Verteilung von nutzbarem Boden, der zum exklusiven Privateigentum wird, als einen intersubjektiven Konsens in der Gesellschaft dar, als „by compact and agreement“[7] vonstatten gehendes historisches Ereignis.
Nicht nur stellt Locke damit die Geschichte der Bodenreformen falsch dar, er übersieht auch die Wichtigkeit der Bodenfrage für die zu seiner Zeit im Entstehen begriffene kapitalistische Produktionsweise. Der Boden hat für Locke noch keinen oder nur geringen Wert. Zudem habe derjenige, der den Boden mit seinen eigenen Händen bearbeite, auch immer ein entsprechendes Eigentumsrecht daran. Dadurch stellt Locke die kapitalistische Wirtschaftsform und die damit einhergehenden Eigentumsrechte noch naiv inadäquat dar. Seiner Logik zufolge müssten alle Arbeiter post festum ein Eigentumsrecht an den Gegenständen haben, auch wenn sie diese gegen ein entsprechendes Lohnentgelt für andere, die Eigentümer an Produktionsmitteln, hergestellt haben. Das ist und war selbstverständlich schon zu Lockes Zeiten nicht der Fall. Das konkrete Eigentum, das die Arbeiter aus dem Produktionsprozess mitnehmen, ist zum einen ihre Ware Arbeitskraft, zum anderen die allgemeinste Ware Geld durch ihre Entlohnung. Nun sind selbst die Eigentümer an Produktionsmitteln auch nicht immer gleich die Eigentümer des Grund und Bodens, auf dem sie ihre Produktionsmittel von Lohnarbeitern anwenden lassen. Auch sie werden es – wider Locke – nicht, ganz gleich, wie viel Produktion sie auf dem vom Grundeigentümer gepachteten Boden stattfinden lassen. Kants Theorie über den Boden ist – vielleicht der seit Lockes Theorie vergangenen Zeit und des Fortschritts des Kapitalismus geschuldet – etwas erhellender. Aber auch Kants Philosophie bleibt ideologisch, weil sie die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse nicht in ihrer ökonomischen Substanz begreift.[8] Der Boden in der kapitalistischen Gesellschaft ist und bleibt jedoch das „ursprüngliche Produktionsmittel“[9]. Mittels der liberalen Gesetzgebung des sie ordnenden bürgerlichen Staats wird das ursprüngliche Produktionsmittel in der kapitalistischen Produktionsweise als ein exklusives Eigentum von jemandem und für jemanden abgesichert. Das durch den Staat geschützte Gesetz des Eigentums liefert damit die Grundlage bzw. die Begründung für eine kapitalistische Nutzung des exklusiv für Wenige gewordenen Bodens. Grund und Boden sind deshalb in ihrer Bedeutung für Nationalstaat und Kapital nicht zu unterschätzen.
Der kurzen Geschichte der kapitalistischen Bodenreformen und den willkürlichen Aneignungen räumt man in heutigen Diskussionen übers Bauen, Wohnen und der Problematik der Mietpreisexplosion keine entscheidende Rolle mehr ein. Die damalige Expropriation der Masse zu Beginn des kapitalistischen Zeitalters wird als gegeben hingenommen und die die Masse ausschließende Exklusivität des Bodens als Problem kaum noch wahrgenommen. Das aber ist ein Versäumnis. Das Wohnen wird aktuell auch deshalb immer teurer, weil der Boden in der kapitalistischen Gesellschaftsform nach wie vor (Privat-)Eigentum ist und dem Grundeigentümer rechtlich als eine exklusive Einnahmequelle garantiert wird. Die Willkür der bodenreformerischen Zuschreibung von Grund und Boden von damals wird heute gegen die Willkür einer gesellschaftlichen Übernahme und Organisation von Eigentum abgesichert. Dafür dient das verfassungsmäßig garantierte Eigentumsgesetz, dass die Exklusivität von Grund und Boden als Eigentumstitel garantiert. In diesem Text wird deshalb insbesondere die traditionelle Rechtsgrundlage einer kapitalistisch organisierten Naturbeherrschung in den Vordergrund gerückt.
- Zur Gewährleistung vom Eigentum an Grund und Boden als Grundrecht
Jeder kapitalistische Nationalstaat stellt sicher, dass seine Bürger mit der ihnen juristisch zugeschriebenen Erdober- und gegebenenfalls auch unterfläche Geld verdienen. Eine der wesentlichsten Aufgaben des Staates besteht darin, die Eigentumstitel an die Grundeigentümer zu vergeben. Ohne diese offizielle Lizensierung könnten die Eigentümer gar keine exklusiven Geschäfte zu ihren Gunsten machen. Der große Vorteil der staatlichen Lizensierung der Grundeigentümer als Eigentümer ist, dass sie mittels des rechtlich ihnen zugesicherten Eigentumstitels mit ihrer nie durch menschliche Arbeit produzierten Nutzungsfläche Geld verdienen dürfen. Sie bekommen dadurch das Recht, andere von der Nutzung ihres Eigentums und damit von existentiellen Reichtumsquellen auszuschließen. Die Grundeigentümer bekommen so als Klasse ihre willkürliche Eroberung aus den Zeiten der Bodenreformen vom Staat als ihr Eigentum rechtlich abgesichert: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“[10] So ist das Eigentum der tradierte Faustpfand der gesellschaftlichen Gewinner; und die gesellschaftlichen Aufstiege von Bürgern zu Grundeigentümern bleiben post festum relativ überschaubar. Großgrundbesitzer, Junker und Kirchen konnten historisch ihren rechtlich durch den Staat abgesicherten Boden vergolden.
Das Gewährleistung des (Privat-)Eigentums ist in der bürgerlichen Gesellschaft also ein grundgesetzlich gesichertes Recht. Hinter der von der bürgerlichen Rechtsprechung aufgebauten Kulisse des Schutzes von Besitzständen versteckt sich jedoch die eigentliche Intention des ausschließenden Eigentumsrechts. Der oben zitierte Artikel 14 des deutschen GG beschreibt das zentrale, juristisch über den Eigentumstitel abgesicherte Gewalt- und Herrschaftsverhältnis in der bürgerlichen Gesellschaft. So dient dem erklärten Eigentümer des Immobilen der notarielle Grundbucheintrag zunächst als eine recht sichere Einkommensquelle in der bürgerlichen Gesellschaft, weil die Menschen immer auf Grund und Boden zurückgreifen müssen, um sich reproduzieren zu können. Der beglaubigte Grundbucheintrag spricht dem Grundeigentümer also eine staatlich garantierte Verfügungsmacht über einen Teil des nationalen Grund und Bodens zu. Über diesen Teil des Bodens darf ausschließlich er allein verfügen. So kann, darf und wird der Eigentümer seine Immobilie gegen ein entsprechendes Entgelt anderen zur wirtschaftlichen oder wohnlichen Nutzung zur Verfügung stellen. Viel mehr als das ausschließende Recht zeitweilig gegen eine entsprechende Bezahlung abzugeben, macht der Grundeigentümer nicht. Das Reichtum der Grundeigentümer basiert insofern auf dem ihnen rechtlich durch den Nationalstaat garantierten Ausschlusskriterium anderer von fremdem, in dem Fall seinem, Eigentum.
Der Preis für das Nutzungsrecht des Immobilen, den die Nutzer den Eigentümern zahlen müssen, ist deshalb eine Tributzahlung. Die ökonomischen Verlierer der kapitalistischen Bodenreformen stehen nachhaltig in der Schuld der historischen Sieger. Marx beschreibt dieses in der kapitalistischen Gesellschaft zentrale Verfügungsverhältnis im dritten Band des Kapitals: „Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den anderen einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen, wie überhaupt im Grundeigentum das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu exploitieren.“[11]
Zur ökonomischen Nutzung können Grundeigentümer ihren Boden Kapitalisten zur Verfügung stellen, wenn sie nicht selbst als Kapitalisten aus ihrem Eigentum Kapital schlagen wollen. Wird ein Stück Boden mit dem Ziel seiner kapitalistischen Nutzung verpachtet, beteiligt der Kapitalist den Grundeigentümer an der gesellschaftlichen (Mehr-)Wertgewinnung. Der Kapitalist hingegen vermehrt sein Kapital bekanntlich nur dadurch, dass er nach den bürgerlichen Revolutionen (nach der „ursprünglichen Akkumulation“) den doppelt freigestellten Lohnarbeiter zur Anwendung seiner zur Verfügung gestellten, privateigentümlichen Produktionsmittel kauft. Er verwertet sein Kapital, sein Eigentum an Produktionsmitteln, durch die Hinzufügung eines Mehrwerts, den er aus den Lohnarbeitern vertraglich pressen darf (s.o.). Die gesellschaftlich mit dem Arbeitsvertrag erzwungene Mehrarbeit stellt insofern das im Ensemble der Kapitalisten notwendige kapitalistische Surplus als wesentlichen Teil des Profits dar. Aus dem Pool des Profits wird dann auch der Grundeigentümer bezahlt, sollte er nicht Eigentümer des Grund und Bodens seiner Produktionsstätten sein. Die den Boden der Grundeigentümer pachtenden Kapitalisten machen insofern bei der Ausbeutung der den Boden bewirtschaftenden Lohnarbeiter mit dem Grundeigentümer gemeinsame Sache.
Der Lohn der Proletarier, von dem der Mehrwert bereits abgegangen ist, schrumpft durch die Mietzahlung an den Wohnraumeigentümer nochmals eklatant. So verdient die gesamte Klasse der Eigentümer an Grund, Boden und Produktionsmitteln an allen Schaltstellen der bürgerlichen Gesellschaft durch die Form der Produktion in der kapitalistischen Gesellschaft, die auf dem ausschließenden Eigentumsrecht als eine logische Kategorie der kapitalistischen Produktionsweise aufbaut.
- Boden, Spekulation und Grundsteuer
Das Verfügungsrecht über seinen Grund und Boden gibt dem Eigentümer selbstverständlich das Recht, seinen ins Grundbuch eingetragenen Boden mit Gewinn zu veräußern oder zu vermieten. Verkauft er die reine Bodennutzfläche, ist der Preis dafür immer rein spekulativ. Lediglich Erfahrungs- und/oder regionale Durchschnittswerte können in den Preis mit eingehen. Befinden sich allerdings schon Häuser oder Produktionsstätten auf dem Grundeigentum, oder sind etwa schon Felder oder andere Bewirtschaftungen auf dem zu verkaufenden Boden angelegt, bemisst sich der Verkaufspreis selbstverständlich auch an dem jeweiligen Wert dieser bereits existierenden Anlagen.
Bei der Preisfestsetzung des Immobilen spielt vor allem die wirtschaftliche Attraktivität des zu verkaufenden Bodens die größte Rolle. In der Landwirtschaft geht es neben der Bodenfruchtbarkeit auch um eine gute Anbindung an ein infrastrukturelles Netz, damit die hergestellten Waren vom Produktionsort schneller und bequemer umgeschlagen werden können. Die Grundeigentümer sind darum fortwährend daran interessiert, ihr ‚Quartier’ oder ihren Grund und Boden ökonomisch attraktiver zu gestalten, um damit ihr Eigentum attraktiver zu machen. In Gebieten, in denen man eine gute wirtschaftliche Verwertbarkeit der Flächen erwartet, wird die Anmietung und der Kauf von Grund und Boden selbstverständlich schon heute teurer. Wie auch bei der Vermietung von Flächen gilt die Möglichkeit einer späteren Gewinnerzielung durch die entsprechenden Eigentumstitel als zu beachtender Wertparameter. Was an Gewinnen für den neuen Eigentümer spekulativ erwartet wird, und sich im Preis beim Verkauf des Bodens widerspiegelt, speist sich also aus der zu erwartenden Miete, der Pacht oder geplanten Infrastrukturprojekten. In den spekulativen Anteil des Preises werden deshalb zukünftig mögliche Mieteinnahmen genauso wie mögliche Gewinne aus einer vor Ort entstehenden Produktionsstätte einberechnet. Die Aufwertung von Stadtteilen oder Straßenzügen mit Cafés, Theatern oder Konzerthäusern wirkt sich deshalb immer positiv auf die Entwicklung der Immobilienpreise aus, egal ob bei der Anmietung oder dem Ankauf. Wo es attraktiver ist oder wird zu wohnen, muss der Mieter auch mehr für den angemieteten Wohnraum zahlen und der Käufer mehr für die Immobilie auf den Tisch legen. Wenn aufgrund der guten Lage mehr Umsatz von einem Räume pachtenden Geschäft erwartet wird, muss entsprechend mehr Pacht an den Eigentümer gezahlt werden. Das erklärt die unterschiedlichen Miet- und Pachtpreise pro Quadratmeter in ein und derselben Stadt. Die so genannte Gentrifizierung ist deshalb ein beständiges Streben der Wohnraumeigentümer, ihre Immobilien attraktiver bzw. dadurch wertvoller zu machen.
Der unbearbeitete, unbewegliche Boden wird so das Stückchen unbearbeitete Natur, das als ein fiktiver Kapitalwert in die Preisbestimmung innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise spekulativ eingeht. Damit gleicht sich die unbearbeitete Natur dem Sammelsurium der spekulativen Werte in der kapitalistischen Gesellschaft an. Wie der Kapitaleigentümer auf den Zins aus seinen Produktionsmitteln spekuliert oder der Aktionär auf die Dividende, so spekuliert der Grundeigentümer auf regelmäßige Gewinne aus seinem immobilen Eigentum. Die zu erwartenden Erträge aus den Mieteinnahmen durchs Grundeigentum ähneln insofern der ganz gewöhnlichen Aktienbewertung.
Auch in die Bewertung der Immobilienpreise spielen selbstverständlich gesellschaftliche Entwicklungen – wie bei der Aktienbewertung – hinein. Die Spekulation über die Entwicklung der Gewinne, die allgemeine Zinslage, beeinflusst auch den Preis für Grund und Boden. Sind die Zinsen, wie momentan, niedrig und der Aktienmarkt schwach, investieren Anleger bevorzugt in recht solide Anlageoptionen wie Grund und Boden. Von diesen Investitionen versprechen sie sich einen sicheren Gewinn, weil, aller Konjunkturschwankungen ungeachtet, der Boden als ursprüngliches Produktionsmittel in der kapitalistischen Warenwirtschaft entscheidend ist und auch der Wohnraum immer eine existentielle Notwendigkeit bleiben wird. Kein kapitalistisches Geschäft kann und wird ohne Grund und Boden vonstatten gehen. Selbst die spekulativsten Geschäfte verweisen am Ende auf einen, wie auch immer, bewirtschafteten Boden. Deswegen ist und bleibt der grundgesetzlich als Eigentum geschützte Boden die sicherste und solideste Investitionsmöglichkeit für Menschen mit Geld und Kapital. Die stete Notwendigkeit von Grund und Boden für kapitalistische Geschäfte und der deswegen auch garantierte institutionalisierte Schutz der Immobilien gibt der Bodenspekulation einen soliden Vorteil gegenüber den immer recht volatilen Aktien.
Vergessen werden darf dabei aber nicht, dass der Staat zum einen selbstverständlich selber Großgrundbesitzer ist, zum anderen aber Steuern auf den Grundbesitz der Privatleute erhebt. Darüber verdient er erheblich an deren Gewinnen mit. Die Besteuerung des Grund und Bodens ist eine Art allgemeines und geregeltes Schutzgeld, denn die Steuern sind für die weitere Absicherung des Grund und Bodens der Eigentümer gedacht. Auch die vom Staat auf Immobilien erhobene Grundsteuer ist nichts anderes als eine Zwangsabgabe auf die spekulierten Gewinne in den einzelnen Städten und Gemeinden. Die Höhe der Grundsteuer bemisst sich immer am Verkaufswert des Grundstücks in der jeweiligen Lage, nicht aber am reellen Verkehrswert der Immobilie. Nicht umsonst heißt die Grundsteuer deshalb auch Bodenzins. Staat und Kapital machen also auch bei der Bodenspekulation, die zur vermehrten Preistreiberei im Immobiliensektor führt, gemeinsame Sache.
- Der bürgerliche Staat als objektive Ordnungsmacht nationaler Böden
Der oben bereits zitierte Artikel 14 GG beschützt das Grundeigentum als ein Grundrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Auch für den liberalen Philosophen John Locke ist das Eigentum in seinen Treatises ein basic right[12] – und die Fifth Amendment der von Locke entscheidend beeinflussten Constitution of the USA schützt das Privateigentum ebenfalls als grundlegendes Recht der Bürgerinnen und Bürger. In anderen bürgerlichen Staaten ist das nicht anders.
Das Grundeigentum an Boden ist ein notwendiger Grundbaustein kapitalistischer Gesellschaften weltweit. Heute ist zudem nahezu jedes Stückchen Land vermessen und es wurde auch einem jeweiligen Eigentümer zugeordnet, der als Immobilieneigentümer in dem Grundbuch der Gemeinden steht. Für den Schutz und die Aufrechterhaltung des Privateigentums verlangen die Nationalstaaten von den Eigentümern an Grund und Boden, aber selbstverständlich auch von deren Nichteigentümern, Steuern. Ein staatlich geschütztes Grundeigentum ist aber nicht nur dafür verantwortlich, dass überhaupt Mieten eingefordert werden können. Es ist auch dafür verantwortlich, dass die Klasse der Arbeiter weiterhin am Rande der Existenzbedrohung leben muss. Sie bleiben weiterhin Lohnarbeiter, weil sie kein Grundeigentum bzw. Eigentum an Produktionsmitteln haben und sie im allgemeinen Reproduktionsprozess weiterhin nur ihr Eigentum an Ware Arbeitskraft besitzen. Der großen Masse der Bevölkerung ist eine Verfügung über Grund und Boden in kapitalistischen Staaten somit unmöglich. Im Eigentumstausch gilt der erhaltene Lohn als ihr äquivalentes Eigentum aus den Tauschgeschäften, die sie gegen ihre Ware Arbeitskraft eingehen. Die Landlosen in der kapitalistischen Gesellschaft müssen sich deshalb immer wieder bittstellend als Lohnarbeiter vor die Tore der Kapitalisten stellen. Durch die Eigentumsgesetze können sie weder Eigentum an etwas anderem als ihrer Arbeitskraft erwerben, noch ist es ihnen aufgrund der Ausschlussklausel von Dritten wie im Feudalismus möglich, Subsistenzwirtschaft zu betreiben.
Einen Zwang zu Arbeiten verspürt die Arbeiterklasse allein schon deshalb am eigenen Leib, weil sie von ihrem Lohn noch eine Miete an Grundeigentümer von Wohnraum zu zahlen haben. Das gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis drückt sich im kapitalistischen Miet- und Wohnverhältnis sogar noch viel brutaler als im Lohnabhängigkeitsverhältnis aus. Vom Arbeitsverhältnis könnte man sich unter der Inkaufnahme großer Probleme sogar noch lösen. Ein Arbeitsplatzwechsel oder selbst die Niederlegung der Lohnarbeit steht einem ‚frei’. Auch ein organisierter Arbeitskampf kann vorübergehende Abhilfen für die durch Lohnarbeit Ausgebeuteten schaffen, indem die kapitalistischen Machtverhältnisse durch einen Produktionsstopp herausgefordert werden. Als Mieter aber kann man das im Mietvertrag liegende gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis nicht so einfach angreifen: das Wohnen kann man nicht, anders als die Arbeit, organisiert einstellen; einen organisierten Wohnkampf mit ähnlich festgeschriebenen Rechten wie im Arbeitskampf kann es nicht geben. Ein Mieter kann sich zwar innerhalb der Rechtsverhältnisse gegen Ungerechtigkeiten auf dem Wohn- und Mietenmarkt zur Wehr setzen. Die Einbehaltung von Mietzahlungen aufgrund von Mietmängeln ist jedoch durch eine völlig andere Zweckbezogenheit nicht mit einem organisierten Arbeitskampf zu vergleichen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse zwingen die Subjekte deshalb um ihrer eigenen Reproduktion Willen immer noch mehr in die kapitalistischen Wohnverhältnisse als in die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse.
Damit ist offensichtlich geworden, dass die grundlegenden Gesetze des Eigentums in der bürgerlichen Gesellschaft für die kapitalistische Ausbeutung der Arbeiterklasse verantwortlich sind. Das, was aus der bürgerlichen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit folgt, ist das, was auch die linken Verfassungspatrioten nie als unmittelbare Folge der verfassungsmäßig verbrieften Rechte sehen. Das grundlegende Eigentumsrecht, das Grundrecht auf ‚Freiheit, Gleichheit und Eigentum’, ist die formelle Bedingung dessen, was mit der dadurch in Gang gesetzte Produktionsweise zu jenen phänomenalen Problemen führt, die bürgerliche Linke gerne als verfassungswidrige Zustände kritisieren. Übersehen wird, dass die die Massen an Lohnarbeit und Ausbeutung nachhaltig fesselnden gesellschaftlichen Zustände geradewegs ein Resultat des Grundgesetzes sind. Verfassungspatrioten kritisieren insofern die Phänomene, die aus den Eigentumsgesetzen entstehen, mit ihrer formellen, zweckgebenden Grundlage. Das hat einen circulus vitiosus zur Folge. Dieser Teufelskreis fesselt die vermeintlichen Kritiker in ihrem Aktionismus ans System, indem sie nolens volens PR für den status quo machen. Grund, Ursache und Wirkung des kritisierten Gegenstands werden von ihnen nicht begriffen. So wird dann ein vermeintlich kritisches Engagement gegen den Kapitalismus, den man im Einklang mit den bürgerlichen Grundrechten vorträgt, ein Engagement für genau das, was man in der Gesellschaft eigentlich verhindert sehen möchte. Der Verfassungspatriotismus wird damit ein tool, um bestehende Herrschaftsverhältnisse auf nationalem Gebiet unangetastet zu lassen. Ein Schutz der Grundrechte bedeutet, dass man dem bestehenden kapitalistischen Herrschaftsverhältnis Bestandsschutz ermöglicht.
Der bürgerliche Staat schützt aber nicht nur den Grundbesitz als Eigentum und lässt sich diesen Schutz über die explizite Besteuerung von Eigentum gut bezahlen. Er organisiert den Grund und Boden auch noch, und zwar anhand des in seiner Kontrolle obliegenden Flächennutzungsplans. Jede Fläche auf seinem Gebiet bekommt eigene Nutzungsrechte. Dadurch wird einer wilden, eventuell aus dem Ruder laufenden, Bodenspekulation Einhalt geboten. Agrar- und Gewerbeflächen separiert man für normalerweise von den Wohnflächen; so genannte Mischflächen werden bei ökonomischen Bedarf aber trotzdem zugelassen. Die Raumordnung organisiert den Grund und Boden nach Nutzungsplan und Kapitalbedarf im bürgerlichen Nationalstaat. Auch über geplante Baumaßnahmen auf den Grundstücken entscheiden letztendlich staatliche Gerichte und nicht die Eigentümer. So überlässt der Nationalstaat auf dem Immobilienmarkt nichts der privaten Hand. Über die Höhe und Nutzungsweise der geplanten Gebäude wird genau so wie über die Gebäudeerweiterungen von Gerichten entschieden. Es wird insofern nicht einmal den privaten Grundeigentümern überlassen, wie sie über ihren Boden, für den sie dauerhaft vom Staat besteuert werden, verfügen, bzw. wie sie mit ihrem Eigentum Geld verdienen.
Der Staat nutzt seine übergeordnete Macht über die Böden, um planmäßig mit den Bodenflächen zum größtmöglichen kapitalistischen Nutzen zu kommen. Kein bürgerlicher Nationalstaat gibt den Immobilienmarkt dabei aus der Hand. Eine erfolgreich geordnete Nutzung von Böden heißt für den Staat: mehr Steuergelder und damit eine bessere internationale Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen, konkurrierenden kapitalistischen Staaten. Staat und Kapital gehen insofern auch hier zweckökonomisch Hand in Hand. Private Eigentümer profitieren von staatlich geplanten und durchgeführten Infrastrukturmaßnahmen. Dort, wo der Staat seine Flächen zur wirtschaftlichen Nutzung neu verplant und organisiert, können sich die Grundstückspreise der privaten Eigentümer deutlich verteuern.
Der Staat hat sogar immer die Möglichkeit, an die Eigentümer ausgestellte ‚Lizenzen zum Geldverdienen’ zurückfordern. Eine rechtlich legale Enteignung durch den Staat kann private Einzelkapitalisten von ihren lukrativen Böden zum, so sagt es das Gesetz, „Wohle der Allgemeinheit“[13] entheben. Die hier im Gesetzestext herangezogene Allgemeinheit ist allerdings mit dem gut organisierten kapitalistischen Allgemeinwohl zu übersetzen. Der bürgerliche Staat enteignet, um seine eigenen Interessen als „ideeller Gesamtkapitalist“ durchzusetzen. Das heißt, es wird dann enteignet, wenn die Interessen der privaten Grundeigentümer beispielsweise einer neuen, staatlichen Nutzungsordnungen von Grund und Boden im Wege stehen.
Ganz selten schafft er mit den eingetriebenen Steuergeldern auch mal bezahlbaren Wohnraum für die Arbeiterklasse oder Arbeitslose. Er greift als objektive Ordnungsmacht der Böden dann in den Wohnungsmarkt ein, um das Verhältnis von Mietern und Vermietern (wieder) zu befrieden und die antagonistischen Willensverhältnisse gesellschafts- bzw. geschäftstauglich zu kompensieren. Der kapitalistische Staat nimmt damit also eine sehr exklusive Rolle auf dem kapitalistischen Immobilienmarkt ein: die des obersten Grundherren der kapitalistischen Bodennutzungsflächen auf seinem Staatsgebiet.
- Zur Ideologie des bürgerlichen Staates als Schlichter auf dem kapitalistischen Wohnungsmarkt
Auf dem kapitalistischen Wohnungsmarkt stehen sich, wie auch auf dem Arbeitsmarkt, zwei ökonomisch völlig ungleiche, juristisch aber gleiche Partner gegenüber. Vertraglich werden deren inkompatible Willen nicht, bis auf wenige Details, durch einen intersubjektiven Konsens vermittelt, sondern beide Willen finden im gesetzlichen Rahmen ihren durch die gesellschaftlichen Verhältnisse vermittelt erzwungenen Konsens. Ein Vertrag über die Nutzung von Wohnraum setzt nämlich einer zunächst freien intersubjektiven Aushandlung von Mieten und Mietveränderungen[14] immer einen objektiv durch die Staatsgewalt abgesicherten Rahmen auf, der für beide Seiten/Subjekte Gültigkeit hat. Das objektiv durch den Staat gesicherte Vertragsverhältnis bringt also erst die antagonistischen Willen der Subjekte in objektiven Einklang miteinander. Beide Subjekte müssen im objektiven Vertragsverhältnis ihre Zufriedenheit finden, um später dann nicht unmittelbarem staatlichen Zwang ausgesetzt zu sein. Ein solches Verfahren ist bei Vertragsabschlüssen in der bürgerlichen Gesellschaft alternativlos. Subjekte können und müssen sich deshalb mit ihrem Willen auf die staatliche Gerichtsbarkeit berufen, sollten sie sich gegenüber dem Vertragspartner vertrags- bzw. gesetzeswidrig benachteiligt sehen.
Die Position des Mieters von Wohnraumeigentum wird in der BRD durch die Paragraphen im Mietrecht gestärkt. Im Wesentlichen wird dem Mieter hier ein Schutz vor willkürlicher Kündigung durch den Vermieter gewährt. In erster Linie ist der Schutz vor der willkürlichen Kündigung des Wohnraums, vor allem in Deutschland, einem Land mit sehr starkem Mieterschutz, Mittel zum Zweck des ideellen Gesamtkapitalisten und obersten Grundherren, staatliche Sozialhilfeleistungen möglichst lange einzusparen und die finanzielle Last eines gesellschaftlich Gescheiterten über einen längeren Zeitraum auf die Vermieter, die privaten Eigentümer, abzuwälzen. Wo die vom Staat organisierten kapitalistischen Verhältnisse also gnadenlos Menschen von ihren Reproduktionsbedingungen freisetzen, müssen trotzdem Privatpersonen mit ihrem Privatvermögen für die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse haften.
Wenn bürgerliche Linke nun anführen, dass das Mieterschutzrecht eine wohlwollende Geste des bürgerlichen Staates vor eventueller Ausgrenzung und Obdachlosigkeit gegenüber dem gesellschaftlich Schwachen sei, ist das eine ideologisch geprägte Unterschätzung der Zwecke des garantierten Mieterrechts. Der Staat agiert nämlich trotz oder besser: wegen des Mieterschutzrechts weiterhin als der ideelle Gesamtkapitalist. Er nimmt in dieser Funktion die wesentlichen Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit nicht ins Visier. Er stellt den Kapitalismus, sein antagonistisches Klassenverhältnis und das Recht auf Eigentum mit all den daraus hervorgehenden Phänomenen als ideeller Gesamtkapitalist nicht auf den Prüfstand. So ist die Überzeugung von der Güte des Nationalstaats an der Stelle blanke Ideologie.
Der spröde ideologische Schein des Schutzes gesellschaftlich Schwacher löst sich bei genauerem Hinsehen auch explizit auf. Der Schutz bleibt unmittelbar an Bedingungen geknüpft, die im Gegenzug zu erfüllen sind. Um den Traum von den ‚eigenen’ vier gemieteten Wänden real werden zu lassen, muss der Mieter bestimmte Bedingungen für seine Bedürftigkeit und seinen Schutz erfüllen. Diese Voraussetzungen sind genau so im Mietrecht des BGB enthalten, das ihn vor zu schneller Obdachlosigkeit schützt.[15] Der Gesetzgeber stellt darin Verhaltensregeln für die Mietpartei auf. Festgelegt wird, wer wirklich in den angemieteten vier Wänden zu wohnen hat und ob der Mieter Haustiere (und von welcher Größe) halten darf, ob er rauchen und zu welchen Zeiten er die Ruhe stören darf und auch wann er dazu verpflichtet ist, Renovierungsarbeiten in der gemieteten Wohnung durchzuführen etc. Dem Mieter wird so per Gesetz ein ordentlicher Rahmen vorgegeben, wie er sich im fremden Eigentum zu verhalten hat. Der einzige Vorteil der Befolgung der Regeln für den Mieter ist, dass er bloß unter großen Anstrengungen von Vermieterseite sein Dach über dem Kopf verlieren kann. Nur eine Klage auf Eigennutzung, mehrere Monate ausstehende Mietschuld oder grobe Verstöße gegen die staatlich auferlegten Pflichten lassen ihn legal aus den Wohnräumen entfernen.
Im Gewerbemietrecht sieht der Staat allerdings weniger Gefahren für sich und seinen Haushalt. Er hat sich dementsprechend weniger Handlungsbedarf in diesem geschäftlichen Bereich der Immobilienwirtschaft gegeben. Eine Abfederung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist ihm im Geschäftsleben nicht so wichtig, weshalb auch die Kündigungsfristen andere als bei privaten Mietverträgen sind.[16]
Aber selbstverständlich werden auch dem Vermieter von Wohnraum durch das Mietrecht Rechte zugesprochen, selbst wenn das Mietrecht im BGB klassischerweise als „Wohnraummieterschutzrecht“[17] gilt. Zum Beispiel darf der Eigentümer den Preis für die Nutzung seiner Immobilie durch den späteren Mieter festlegen. Aber ihm ist keine Willkür in der Preisfestlegung erlaubt, sondern er muss dabei nach den Regeln des Staates spielen. So liegt in Großstädten oftmals ein offizieller, qualifizierter Mietspiegel vor, der bei Mietstreitigkeiten um Mieterhöhungen und bei Festlegungen von Mieten die entsprechende rechtliche Grundlage der Einigung bildet. Ein Mietspiegel erfasst die lokalen Mieten und bildet damit den Durchschnitt aller Mietpreise ab. Als Durchschnittswert ist er ein grober Richtwert, an dem sich die Eigentümer mit um ihn oszillierenden Preisen für ihren Wohnraum zu orientieren haben, auch wenn auf dem Gebiet der preislichen Orientierung am Mietspiegel viele Ausnahmen gelten gelassen werden. Der Mietspiegel ist ein Instrument der Vermieter: Weil er den durchschnittlichen Preis an Miete beschreibt, die der Vermieter offiziell nehmen darf, stabilisiert der Mietspiegel seine Mieteinnahmen. Ausnahmen von der Mietspiegelbindung für bestimmte Immobilien wie Häuser oder Neubauten können die Einnahmen der Eigentümer (kurzfristig) erhöhen.
Nun rufen Mietzahlungen immer ein gewisses Unbehagen bei den Mietern hervor. In Zeiten steigender Mieten versuchen sie deswegen, sich selbst Wohneigentum anzuschaffen. Sie möchten so nicht nur den unangenehmen Mietverhältnissen, sondern auch den hohen Mietausgaben, vor allem in den Großstädten, entkommen. Dieser Schritt zur eigentümlichen ‚Selbstständigkeit’ wird momentan durch günstige Kredite der Banken befeuert.
Um selbst Wohnraumeigentümer zu sein, müssen sich die Proletarier bei einer Bank verschulden, die ihnen das Geld für die eigene Immobilie vorschießt. Diese vermeintliche Freiheit durch eigenes Eigentum ist eine klassische Fetischfreiheit von gesellschaftlichen Zwängen durch die willentliche Einbindung der eigenen Person in gesellschaftliche Zwänge. Die Verschuldung zugunsten des Austritts aus dem Mietverhältnis bindet die Arbeitskraft der Kreditnehmer durch die damit einhergehenden Verpflichtungen noch mehr an das kapitalistische System. Der Arbeiter verpflichtet sich mit dem Erwerb einer Immobilie zur Zahlung der Hypothek an seine Bank, die er über viele Jahre, manch einer sogar bis zum Renteneintrittsalter, abbezahlen muss. Schulden bei der Bank machen ein Subjekt nicht freier oder selbstständiger, selbst wenn es sich mit den Komplikationen in Grenzen halten sollte. Geht das Experiment als Wohnraumeigentümer jedoch durch Arbeitslosigkeit, Krankheit etc. schief, so beginnt für den Proletarier ein noch viel ungemütlicheres Kapitel seines Lebens. Kann er dann auch nicht mehr verkaufen oder die Immobilie irgendwie kostentragend selbst vermieten, bleibt ihm einzig noch eine Zwangsversteigerung. Das ist aber nicht das Ende des Kapitels seines Wohneigentümerlebens, sondern daraus folgt ein Berg Schulden für ihn, für dessen Tilgung er dann weiterarbeiten muss. Als Resultat seiner gesellschaftlich so anerkannten Anstrengungen bleibt dann nicht die lang ersehnte Immobilie als eigener Alterswohnsitz kurz vor dem eigenen Ableben, sondern eine ihn auslaugende und als restunabhängiges Subjekt endgültig zerstörende Grundschuld.
Das aber ist für viele kleine Geldanleger noch lange kein Grund zum Innehalten. Auch der Staat fördert solch riskante Formen der Geldanlage für Proletarier über das so genannte „Wohn-Riestern“[18]. Das Modell soll den Menschen die Investition in Wohneigentum zur Altersvorsorge ermöglichen und erleichtern. Ziel dieser Anstrengung ist selbstverständlich nicht, der Arbeiterklasse ein schönes Immobilieneigentümerleben zur Rente zu garantieren. Der Staat möchte der Arbeiterklasse eine alternative, zum Leben reichende Rente durch ihre Verschuldung vorschlagen.
Der Nationalstaat lässt damit also auch die Proletarier auf seiner Klaviatur spielen. Gelöst werden mit der Förderung der Anschaffung von Wohneigentum durch Proletarier vor allem drei der komplexeren Angelegenheiten im bürgerlichen Staat: 1. die Ware Arbeitskraft wird nachhaltig an die nationalen Verhältnisse gebunden, womit der Arbeiter persönliche Freiheiten und seine Flexibilität einbüßt, 2. der Arbeiter braucht als Eigentümer von Immobilien keinen sozialen Wohnungsbau, 3. die an die nationalen Immobilienverhältnisse geketteten Proletarier haben ein verstärktes Interesse an den bestehenden kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, weil sie nach dem Kauf einer Immobilie gesellschaftlich anerkannte Eigentümer – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau – sind. Zwar dürfen sich alle Menschen Eigentümer von etwas nennen, aber mit dem Erwerb einer Immobilie beschleicht den Wohnraumeigentümer viel eher noch als den einfachen Proletarier das Gefühl, ein wichtiger, anerkannter Teil der Gesellschaft zu sein.
Nun kann man von bürgerlich linker Seite einwenden, es gäbe den sozialen Wohnungsbau zu Gunsten der Proletarier. Und selbstverständlich versucht der Nationalstaat formell mithilfe des sozialen Wohnungsbaus die Wohnungsnot der Arbeiter zu lindern. Der Staat subventioniert dafür den Billigbau privater Bauherren, indem er ihnen Steuern und Zinsen erlässt, wenn sie sich im Gegenzug über Jahre mit einer nur kostendeckenden Miete zufrieden geben. Erst danach dürfen sie auf dem Markt nach dem lokalen Mietspiegel ganz zu ihren Gunsten wirtschaften. Mit dem integrierten sozialen Wohnungsbau soll der Obdachlosigkeit und der daraus folgenden außerordentlichen Armut (also einer, die das kapitalistische System belastet) Einhalt geboten werden. Denn Menschen, die nichts als ihre politisch-ökonomischen Ketten zu verlieren haben, waren dem Nationalstaat schon immer verdächtig.
Der Trend beim sozialen Wohnungsbau geht momentan allerdings in die andere Richtung.[19] Kommunen und öffentliche Bauträger verkaufen die letzten Jahre immer mehr Sozialwohnungen an inzwischen global auftretende Immobiliengesellschaften. So füllt der Verkauf von vormals sozialem Wohnraum die angeblich notorisch klammen Staatskassen und verknappt dadurch den Wohnraum für die, die sich die Mieten heute angesichts der Lage auf dem Immobilienmarkt nicht mehr leisten können. Von einer existentiellen Grundabsicherung der Proletarierklasse auf dem Immobilienmarkt nimmt man damit von staatlicher Seite immer mehr Abstand; das entspricht der allgemeinen Trendwende des Abbaus von sozialen Sicherungssystemen nach 1990.
Diese Entwicklung lässt der Staat aber nicht versehentlich geschehen. Von den aktuell hohen Mieten profitiert nämlich nicht nur der Eigentümer der Wohn- oder Gewerbeeinheit, sondern eben auch der Staat – wenn selbstverständlich auch nur bis zu einem gewissen Grad.[20] Bei jeder Vermietung von Wohnraum verdient er – mit und durch die Vermieter – wie auch bei jedem Verkauf von Immobilien am Verkäufer und Käufer mit. Das wurde oben bereits deutlich. Keine Immobilie geht insofern je ganz in die Hände eines privaten Eigentümers über, der dann damit willkürlich schalten und walten kann. Der Staat profitiert über Steuern vom Verkauf (Grundsteuer etc.), und er bleibt selbstverständlich auch nach dem Verkauf weiterhin (Grundsteuer etc.) und dauerhaft im Geschäft.
In wenigen Fällen zahlt der Staat auch mal Wohngeld aus, damit arme Menschen überhaupt noch von, wie man so schön sagt, ‚ihrer Arbeit leben können’. Durch diese Subvention ist selbstverständlich nicht die bittere Armut trotz Arbeit im Kapitalismus verschwunden. Arme Menschen werden durch diese Maßnahme der Wohnraumsicherung weiterhin als ‚künstlich’ funktionsfähige Glieder ans kapitalistische System gefesselt. Durch diese notdürftige Vermeidung der Wohnungslosigkeit der Proletarier dezimiert der Nationalstaat das Lumpenproletariat und hält dem Kapital (und damit vermittelt auch sich) einen Teil der Arbeiterklasse arbeitsfähig. Daneben liefert und erhält der Staat so den Vermietern selbstverständlich auch eine weiterhin zahlende Kundschaft. Das Wohngeld für Wenige hält insofern den kapitalistischen Immobiliensektor am Laufen, von dem selbstverständlich auch der Staat durch die hohen Steuerforderungen profitiert. Subventioniert wird mit den Zahlungen des Wohngeldes, vermittelt über die Aufrechterhaltung der Einnahmequelle der Vermieter, die eigene staatliche Geldquelle.
Ein ganz ähnlich aufgebauter Kreislauf wird im Rahmen der bürgerlichen Grundsicherung, dem so genannten Hartz IV, in Gang gehalten. Hier bekommen Menschen vom Staat ebenfalls Geld zum Wohnen. Deren Vermieter zahlen das vom Staat kommende Geld anteilsweise als Steuern wieder zurück. So werden Kreisläufe der staatlichen Refinanzierung von Wohnraum erhalten. Der Staat profitiert hier gemeinsam mit den lizensierten Eigentümern von der Armut der Proletarier, die künstlich vor dem Fall ins Lumpenproletariat bewahrt werden.
Auch fernab der über Steuern der Eigentümer refinanzierten Sozialsysteme bestimmt der Staat den Immobilienmarkt und seine Entwicklung mit. Denn die momentan eklatant hohen Mieten auf dem ‚freien Immobilienmarkt’ sind durch den Nationalstaat und seine hohen Steuersätze auf das Eigentum an Wohnraum offensichtlich mitverschuldet. Auch die höheren Kaufpreise gehen darauf zurück. Die Belastung der Mieter und Eigentümer, die selbst in ihren Immobilien wohnen, entsteht vor allem durch die stetige Erhöhung der Grundsteuer B in den letzten Jahren. In Niedersachsen ist diese seit dem Jahr 2000 jährlich um rund 2,6 Prozent gestiegen.[21] Die so genannten Hebesätze der Grundsteuer werden immer durch die Städte und Kommunen bestimmt, weswegen sie in Deutschland nicht einheitlich sind. In Niedersachsen wird der Steuersatz mit 600 Prozent in Hannover am höchsten berechnet.[22]
Die staatlich erhobene Grundsteuer auf Immobilien wird heutzutage nicht von den Eigentümern bezahlt, sofern sie nicht selbst in ihrer Immobilie wohnen. Über die Nebenkostenabrechnungen werden die Mieter von Wohnraum an der so eklatant gestiegenen Steuer belastet. So steigen die Mietbelastungen nicht nur durch das momentan gesteigerte Vermarktungsinteresse der Vermieter, das mit offiziellen Mietspiegeln zumindest noch gebremst werden kann. Auch die preislichen Forderungen des Nationalstaates für Grund und Boden auf dem Staatsgebiet lassen die Miet- und Kaufpreise inzwischen außergewöhnlich schnell steigen. Der Staat verlangt einen immer höher werdenden Betrag für die alleinige Grundsicherung der Immobilien, was die Bürger stark belastet.
Die momentane Debatte über steigende Mieten darf deshalb nicht von den substantiellen Eigentumsverhältnissen und der zentralen Rolle des Staates in der bürgerlichen Gesellschaft schweigen. Wenn man heute über steigende Mieten und immer höhere Preise von Wohnungen spricht, darf man Staat und Kapital als dialektisch zu begreifendes Verhältnis in der kapitalistischen Produktionsweise nicht ignorieren. Kein Mietendeckel und keine Mietpreisbremse können je das rückgängig machen, was sich als die Erbsünde der bürgerlichen Gesellschaft erweist: die ursprüngliche Akkumulation und ihre bodenrechtlichen, eigentümlichen Folgen der Verteilung. Wird nun die Verantwortung des Staats mitsamt seines Rechtssystems bei den steigenden Mieten ignoriert und werden nur eindimensional das große Kapital oder der private Eigentümer für diese Entwicklung kritisiert, ist die Kritik am gegenwärtigen Zustand des kapitalistischen Immobilienmarkts substanzlos und deswegen nahezu obsolet. Die Charaktermasken des Kapitals sind und bleiben austauschbar als Phänomene von Etwas, das sie nicht selbst sind. Eine Kritik an einzelnen Prozessen in der kapitalistischen Gesellschaft kann nun zwar dazu beitragen, dass dem einzelnen Bürger über einen gewissen Zeitraum eine gewisse Entlastung entgegengebracht wird. Übersehen wird dann allerdings die sachzwingende Systematik hinter den kritisierten phänomenalen Zuständen. Die wesentlichen Herrschaftsverhältnisse bleiben also mit der eindimensionalen Kritik an einzelnen Kapitalisten und Vermietern unangetastet.
Selbst der vermeintlich radikale Versuch der Installation einer Mietpreisbremse setzt bloß am sozialen Phänomen der zu hohen Miete an. Weil aber die wesentlichen Bedingungen hinter den Erscheinungen wie selbstverständlich nicht hinterfragt werden, werden Veränderungen an den Mieten keine großen Veränderungen bringen. Solange nicht das private Eigentumsrecht der bürgerlichen Gesellschaft kritisch in Frage gestellt wird, sondern moralisch das ‚einseitige’ Geldverdienen der privaten Eigentümer der Wohn- und Gewerbeeinheiten abgelehnt wird, wird das grundlegende, wesentliche Herrschaftsverhältnis in der bürgerlichen Gesellschaft genau so wenig kritisiert wie das antagonistische Klassenverhältnis thematisiert. Das hilft einer Aufrechterhaltung des kapitalistischen status quo, weil man von den wesentlichen, substantiellen Bedingungen auf phänomenale, akzidentelle Entwicklungen ausweicht.
[1] https://interaktiv.morgenpost.de/berlinmieten/.
[2] https://www.welt.de/wirtschaft/article190140407/Hohe-Mieten-bremsen-deutschen-Jobboom-aus.html. Das liegt sicherlich auch an der durchaus prekären, unterdurchschnittlichen Entlohnung in jenen Bereichen, die den so genannten ‚Jobboom’ verzeichneten.
[3] https://www.spdfraktion.de/themen/wohnen-bezahlbar.
[4]https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2009/01/Artikel/analysen_und_berichte/B02-Eigenheimrentengesetz/Eigenheimrentengesetz.html.
[5] Peter Bulthaup, Das Gesetz der Befreiung. Und andere Texte (Zitat aus: Elemente des Antisemitismus. Ohne Untertitel), Lüneburg 1998, S. 123.
[6] Vgl. Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 741 ff.
[7] John Locke, Two Treatises of Government, Book II (Of Property), § 45, S. 93.
[8] Vgl. dazu Bengt Erik Bethmann, Gesellschaftliches Wesen und soziales Phänomen. Zur negativen Dialektik von Phänomen, Wesen, gesellschaftlicher Totalität und der Bedeutung für die Kritik des modernen Antisemitismus, Göttingen 2018, S. 189ff.
[9] Vgl. Maxi Berger, Arbeit, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung bei Hegel, S. 91, Peter Bulthaup, Rechtspragmatik oder von der Zwangsläufigkeit des sittlichen Verfalls der Justiz, S. 74.
[10] GG der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 14.
[11] Karl Marx, Das Kapital Bd. III, MEW 25, S. 782.
[12] Vgl. John Locke, Two Treatises of Government, Book II, Chapter 5, Of Property.
[13] GG Artikel 14 (3), https://dejure.org/gesetze/GG/14.html.
[14] Die Rede von freier Intersubjektivität ist hier bei genauerer Betrachtung fehl am Platz. In einer anderen Gesellschaft würde das Subjekt gar nicht auf die Idee kommen, einen solchen Konsens mit Dritten suchen zu müssen. Der Einfachheit der Formulierung halber unterstelle ich hier eine Freiheit des Willens ohne jede gesellschaftliche Reflexion.
[15] https://www.sueddeutsche.de/thema/Mietrecht.
[16] Es besteht hier kein „soziales Schutzbedürfnis“. https://www.mietrecht.org/gewerbe/gewerbemietrecht-im-bgb/.
[18] https://www.deutschlandfunk.de/altersvorsorge-riester-rente-fuer-den-hauskauf-umwandeln.697.de.html?dram:article_id=422789.
[19] https://de.statista.com/infografik/12473/immer-weniger-sozialwohnungen-in-deutschland/
[20] Wann dieses Verhältnis sich zu Ungunsten der Staatskassen wendet, wird gut und gerne kontrovers diskutiert. Die Experten sind sich dabei nicht ganz einig, wie viel die Menschen an hohen Lebenshaltungskosten aufgrund der hohen Mieten vertragen müssen: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/hart-aber-fair-mieten-zu-hoch-wohnen-zu-teuer-15612538.html
[21] https://www.haz.de/Nachrichten/Wirtschaft/Hoehere-Grundsteuer-in-vielen-niedersaechsischen-Kommunen.