von Bengt E. Bethmann

Rechte Parteien und Bewegungen erschüttern momentan die politischen Landschaften. Bis vor 5-10 Jahren kaum für möglich gehaltene Erdrutschsiege von rechten Parteien sind in Europa keine Seltenheit. Nach dem islamistischen Terroranschlag von Berlin im Dezember 2016 stiegen die Umfragewerte für die AfD, eine Trendwende ist nicht in Sicht.[2] In den Niederlanden liegt die Partie vor de Vrijheid von Geert Wilders kurz vor den Parlamentswahlen nach den letzten Umfragen sogar vorne.[3] Ein Wahlsieg der Partei könnte ab März eine entscheidende Welle des Rechtsrucks in der EU einleiten. In Frankreich setzt Marine Le Pen vom Front National dem bürgerlichen Lager bedrohlich zu.[4] Hier wird kurz nach den Niederlanden gewählt, im April. Andere EU-Staaten stehen bereits ganz im Zeichen rechter Parteien. Ungarn ist mit Orbans Fidesz bereits länger im Begriff, sich autoritär, antidemokratisch in einen „völkischen Regimetyp“[5] zu verwandeln. Auch in Polen, Slowenien und Italien (wo das Movimento Cinque Stelle die Bürgermeister Roms und Turins stellt) sind rechtspopulistische Akteure zu politischen Entscheidern geworden. Und die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, ist eine vom nationalistischen und rassistischen Gedanken getriebene direkt demokratische Abstimmung gewesen. Die britischen Grenzen sollten wieder unter die ‚eigene’ Kontrolle kommen, um sich somit gegenüber den Flüchtlingsbewegungen aus Zentraleuropa abschotten zu können.

Aber nicht nur in Europa kommt es zum gefährlichen Rechtsruck. Fernab der europäischen ‚Flüchtlingskrise’ gewinnt in Australien die rechtspopulistische One Nation Party Pauline Hansons an Bedeutung.[6] Den bedeutensten aber, weil einflussreichsten Rechtsruck ist jedoch mit der Wahl Donald J. Trumps in den USA zu verzeichnen. Direkt nach seinem Amtsantritt begann Trump, seine für amerikanische Verhältnisse sehr ungewöhnlich rechtspopulistische Politik durchzusetzen. Von Beginn seiner Amtszeit an testete er die Grenzen der Belastbarkeit der Institutionen der ältesten Demokratie der Welt.

Doch was ist der Grund dieses vor allem die OECD-Staaten betreffenden Rechtsrucks? Gerne erklärt man in Deutschland den derzeitigen Aufschwung des Rassismus und Faschismus so: stetig wachsende bildungsferne ‚Schichten’ würden die in der ‚Flüchtlingskrise’ liegenden nationalen Chancen[7] oder – kryptischer ausgedrückt – moralischen Pflichten[8] für Deutschland etc. (!) nicht begreifen. Folge der Unbildung sei ein sich aus der Abwehrhaltung bildender Rassismus.[9] Argumentiert wird demnach, dass die heutigen Flüchtlingsgegner keine richtigen Patrioten, sondern bloß ungebildete Subjekte seien. So wird den Flüchtlingsgegnern und Anhängern rassistischer Thesen unterstellt, dass ihre sozialen Ängste in der kapitalistischen Gesellschaft vollkommen unbegründet seien. Allein ihre Bildungsferne oder ihr mangelnder Patriotismus seien insofern Ursache ihrer somit völlig realitätsfernen Ängste. Rassismus sei ein Phänomen der Ahnungslosigkeit (‚postfaktischer’ Ahnungslosigkeit) und Rassisten würden sich aufgrund ihres verkrampften Angstzustandes den richtigen Fakten verweigern. Ihre angstgetriebene Ahnungslosigkeit mache große Teile der Bevölkerung für rechte Demagogen empfänglich, die sie in organisierte rassistische Strukturen holen würden. Damit wird unterstellt, dass die rechtsextremen, neofaschistischen Politiker den breiten Rassismus in der Bevölkerung bauernfängerisch geschickt für sich nutzen so gegenwärtig viele Wählerstimmen abgreifen. Das ist nicht nur in Deutschland eine beliebte Erklärung des Phänomens, dies war auch eine der zentralen Thesen Hillary Clintons zum Rassismus der Trumpanhänger: “The racist, sexist, homophobic, xenophobic, Islamaphobic — you name it. And unfortunately there are people like that. And he [Trump, B.E.B.] has lifted them up.”[10] Ihre These von den rassistischen ‚deplorables‘ hat aber genauso wie die These von den ungebildeten Rassisten ihre faktischen und intellektuellen Grenzen. In ihr steckt die viel zu einfache Überzeugung, ein Großteil der Bevölkerung sei einfach nur ungebildet, ‚hinterher‘ und allein dadurch anfällig für den Rassismus. Die Lösung des Rassismusproblems wäre dann jedoch zu einfach: Wenn man diesem Teil der Bevölkerung mittels Bildung und Perspektive verdeutlichen könnte, wie hinterwäldlerisch ihre eigene rassistische Einstellung sei und dann auch noch, wie perfide die rechtsextremen Politiker (wie Trump) diese Einstellung für ihre Zwecke ausnutzten, dann könnte man den rassistischen Teufelskreis durchbrechen.[11] Die These von der angeblichen Bildungsferne der inzwischen numerisch großen Zahl an Rassisten übersieht dabei selbst entscheidende Fakten: dass die potentiellen und realen Wählerzahlen von Rassisten in Europa statistisch inzwischen weit über solch vereinfachende Zuschreibungen von der Bildungsferne ihrer Anhänger hinausgehen. Rassisten hinken nicht alle bloß mit ihren intellektuellen Fähigkeiten hinterher. Heutzutage hört man selbst wieder in den höchsten politischen Bildungsstätten des Landes rassistische Töne. Entscheidende Rückendeckung erhält die AfD längst bei vielen Studenten[13] und selbst dem Unilehrpersonal[14] – also Personen, denen man einen willentlichen, überzeugten Rassismus trotz oder durch ihre gute bürgerliche Bildung unterstellen kann.

Eine weitere beliebte Erklärung für den aktuellen Rassismus ist die Verlinkung seines Erstarkens mit den gegenwärtig hohen Flüchtlingszahlen. Im Tagesspiegel schreibt Albrecht Meier: „Mit den Flüchtlingszahlen wachsen auch die Parteien weit rechts der politischen Mitte.“[1] Doch so einfach, wie Meier behauptet, ist die Sache auch nicht. Der aktuelle Rassismus hat wenig, wenn auch nicht gar nichts, mit Flüchtlingszahlen oder mangelnder Bildung zu tun. Zwar wäre es realitätsfern, die Zahl der Unterstützer von rechten Parteien und Gruppierungen nicht mit den steigenden Flüchtlingszahlen zusammenzubringen. Doch die Behauptung, dass die europäische ‚Flüchtlingskrise’ – auf die selbst Trump bei seinen rassistischen Maßnahmen der nationalen ‚Grenzsicherung’ verweist – für den Rechtsruck verantwortlich sei, relativiert die schwelende Gefahr des Faschismus in den bürgerlichen Gesellschaften. Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit etc. zeigen sich beständig, mal stärker, mal schwächer ausgeprägt. Zu einfach ist es, die gegenwärtige ‚Flüchtlingskrise’ und die durch sie ausgelöste verfahrene politische Lage der EU (in der das Schengenabkommen heute entweder offen in Frage gestellt wird und/oder auch partiell aufgehoben ist) als den wesentlichen Auslöser für den allgegenwärtigen und weltweit strukturell ähnlichen Rechtsruck und den damit einhergehenden Rassismus anzuführen.

Der Rassismus durchzieht die bürgerlichen Gesellschaften und ihre Geschichte. Er liegt wesentlich in ihrer Konstitution begründet. Dass sich knallharte Rassisten nicht mit Fakten umstimmen lassen, sondern generell schon etwas anderes im Sinn haben als Wissen, Wahrheit oder (für sie) spießige Intellektualität, sehen die Aufklärer durch ihre eigene Bildungsbesessenheit nicht. Der Rassismus wird auch nicht durch die Beendigung der ‚Flüchtlingskrise‘ verschwinden, die den Rassisten nur als Ventil gilt. Die Aufklärer verstehen ihre eigene Ohnmacht gegenüber dem überzeugten Rassismus und Faschismus nicht, weil sie die Ohnmacht von Bildung und angeführten Fakten im Kampf gegen ihn nicht verstehen. Im Rahmen des von Rechten längst übernommenen Pluralismus werden Fakten sowieso schon entweder ständig in Frage gestellt oder einfach überhört. Die Möglichkeiten der Kritik des Rassismus in einem bürgerlich-institutionellen Rahmen bleiben begrenzt, weil die institutionelle Bildung die wesentlichen, materiellen Bedingungen des Faschismus nicht benennen kann und an der Stelle nicht auf die antifaschistische Wahrheit gesetzt wird, sondern auf den antifaschistischen Zeigefinger der Moral bzw. eine staatsbürgerliche Sittlichkeit.[12] Allein aber eine Frage nach der antifaschistischen Wahrheit geht aufs Ganze und fragt ideologiekritisch, warum es trotz der hiesigen realisierten bürgerlichen Ideen von Recht, Gleichheit und Solidarität überhaupt noch zu faschistischen Bewegungen kommen kann. Mit einem breiten, geschichtsanalytischen Blick über den konkreten, gegenwärtigen Rassismus hinaus nähert man sich dem Phänomen als in der Gesellschaft verstetigtes Phänomen der Moderne. So zeigt sich das ambivalente Fundament des Rechtsextremismus in der bürgerlichen Gesellschaft jenseits der aktuellen ‚Flüchtlingskrise’.

Das antibürgerliche, rechte Denken erwies sich historisch nun als genauso alt wie die rund zweihundertvierzigjährige Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Zuerst tauchten reaktionäre Denkmuster gegen die bürgerliche Gesellschaft und ihre Ideale in den USA 1776 und Frankreich 1789 auf. Politisch konservative Reaktionäre wie der österreichische Schriftsteller Franz Grillparzer[15] kritisierten angesichts der auf die Französische Revolution folgenden Napoleonischen Epoche die bürgerliche Gesellschaft als zersetzend. Sie war es auch: Die im entstehen begriffene bürgerliche Gesellschaft griff die alte, traditionelle Privilegiengesellschaft und ihre kirchlich sanktionierten Herrschaftstraditionen zunächst ökonomisch und politisch an. Die Monarchisten fürchteten sich insbesondere vor der von den revolutionären Bürgern geforderten Egalität. Durch die Revolutionen von 1848 wurden viele Monarchisten und Konservative dann endgültig davon überzeugt, dass die Verbürgerlichung der Gesellschaft und das damit erstmals diskutierte gleiche Recht für alle, die Egalität, negative, chaotische Auswirkungen auf die ‚Ordnung’ der Gesellschaften habe. Die tradierten Privilegien der Feudalzeit wurden nach den bürgerlichen Revolutionen abgeschafft, was den Konservativen als Barbarei galt.

Die bürgerlichen Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit ließen sich bereits zu jener Zeit, vor allem durch den materiellen ökonomischen Fortschritt, den sie dialektisch mit sich bringen, nur noch partiell erfolgreich bekämpfen oder unterdrücken. Erfolgreich trugen die Napoleonischen Kriege die historisch in politischer und ökonomsicher Hinsicht fortschrittlichen Errungenschaften der Französischen Revolution durch Europa. Der code civil machte in Form des code napoleon Weltkarriere. Selbst in den südamerikanischen Kolonien Spaniens hatten die Napoleonischen Kriege Auswirkungen. Durch die Befreiung des Mutterlandes Spanien von der alten Krone kam es zu sogartigen politischen Umbrüchen mit folgenreichen Nationalisierungswellen, da sich der koloniale Griff nach Südamerika entscheidend lockerte. Napoleon machte seinen Bruder Joseph Bonaparte zum spanischen König. Die mit der alten spanischen Krone unzufriedenen Bevölkerungsteile begehrten erfolgreich und im Sinne der von Napoleon vertretenen bürgerlichen Ideen gegen die politisch-ökonomischen Herrschaftsverhältnisse auf. Ideell wie praktisch zweckmäßig trat Napoleon mit seinen Eroberungszügen zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegen die in Europa und der Welt noch gänzlich durchgesetzte Privilegiengesellschaft des Feudalismus an. Die Ideen der Französischen Revolution setzten sich selbst in konservativen Flächenländern wie dem Zarenreich fest (Dekabristenaufstand 1825), obwohl es nicht von Napoleons Armee überrannt werden konnte.[16] Jedes noch monarchisch organisierte Ancien Régime Europas und der Welt wurde bis zum Wiener Kongress 1815 und seiner folgenreichen Reaktion in seinen elitär-privilegierten Grundfesten attackiert, revolutioniert oder zumindest in seiner Festigkeit auf den Prüfstand gestellt.

Die noch monarchistisch, aber eben nicht bürgerlich nationalistisch geprägte kritische Sichtweise Grillparzers auf die politischen Veränderungen durch die die Privilegien abschaffen wollenden bürgerlichen Revolutionen zeigt bereits eine dialektische Ambivalenz der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Egalität auf. Die ausnahmslos und allgemein garantierten Rechte für alle Bürger in der bürgerlichen Gesellschaft wurden zur kontinuierlichen Zielscheibe von rechtskonservativen Theoretikern. Bereits die revolutionäre bürgerliche Gesellschaft bekam ihre Probleme durch die praktische Durchsetzung der allgemeinen, ideellen Rechtssicherheit für alle Staatsbürger gleichermaßen. Sofort wurde die gleiche Rechtssicherheit für Juden und Christen zum Stein des Anstoßes. Die Französische Nationalversammlung stellte sich 1790 die entsprechende ‚Judenfrage’. Von nun an wird die europäische Geschichte von der bürgerliche ‚Judenfrage’ begleitet. Sie entzündete sich am erstmals universell garantierten, bürgerlichen Recht. Die Antisemiten stören sich an der allgemeinen Rechtssicherheit für die vorher im Feudalismus durch ihren Privilegienstatus[17] unterdrückten Juden. Die Geschichte des modernen Antisemitismus beginnt deshalb auch nicht mit der Aufklärung, sondern praktisch erst mit der ersten realen Artikulation der gleichen Rechte für alle Staatsbürger vor dem Gesetz. Dies zog eine Diskussion über eine reale Einschränkung der allgemeinen Rechtsidee nach sich. Von Beginn der national organisierten bürgerlichen Staaten an beruht der moderne Antisemitismus auf durch und durch populistischen Argumenten, wie beispielsweise im Falle des Napoleonischen Decrét Infame von 1808: „Das Décret Infame markiert die Zurücknahme gesellschaftlich-emanzipatorischen Momente der Französischen Revolution. Nach außen bringt es die reaktionäre Seite der Napoleonischen Doppelbotschaft hervor: Nationalismus.“[18] Eine schnelle, populistische Lösung vermeintlich gesellschaftlicher Probleme wird also auch schon von Napoleon in der Entziehung der allgemeinen Bürgerrechte für Juden gesehen.

Trotz aller Differenzen ist der moderne Antisemitismus damit genauso ein Indikator für den tief verwurzelten Rassismus innerhalb der ambivalenten bürgerlichen Gesellschaft wie die Geschichte des modernen Rassismus sich ebenfalls klar und deutlich an der Frage der allgemeinen Rechtssicherheit vor dem bürgerlichen Gesetz entzündet. Der Rassismus und Antisemitismus gleichermaßen zeigen sich als immer wieder erfolgreich geführte Versuche, das ideell gleiche Recht für Alle nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu torpedieren. Die Geburtsstunde des Rassismus im burischen Süden Afrikas im 19. Jahrhundert ist die Erklärung der schwarzen Bevölkerung zu stumpfen tierischen Arbeitsmaschinen ohne subjektbedingten Intellekt – zum allgemeinen ökonomischen Vorteil der kapitalistischen Gesellschaft und zum besonderen Vorteil der weißen Bevölkerung. Die schwarze Bevölkerung wird für eine lukrativere Ausbeutung in den Diamantenminen Südafrikas entrechtet.[19] Der allgemeine bürgerliche Subjektstatus wird, trotz aller zu beachtender Differenzen, dem ‚Neger’ und dem Juden gleichermaßen aberkannt. Bis zur großen und erst von außen eingeleiteten Umstrukturierung in den südafrikanischen Staat von 1994 gilt diese ökonomisch bedingte ‚Rassentrennung’, die Apartheid. Sie bescherte der Südafrikanischen Union in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einen fulminanten ökonomischen Aufstieg in die so genannte ‚Erste Welt’. Geschäftspartner weltweit, westliche Regierungen und Unternehmen, nahmen sie zum wiederum eigenen Vorteil billigend in Kauf. Das reaktionäre Denken und die rechte Praxis zum Vorteil der weißen Südafrikaner wurde bis zur Invasion der Südafrikanischen Union in Angola innen- und außenpolitisch nicht wesentlich in Frage gestellt: „Aber eine Empörung über das Apartheid-System, das den schwarzen Menschen ohne Rechte läßt und wie Vieh behandelt, will schon sein. Dabei weiß jeder um die Heuchelei westlicher Regierungen, die einer UN-Resolution gegen Südafrika zustimmen und gleichzeitig die flotten Geschäfte mit der RSA ausbauen.“[20] Bis zur militärischen Schwächung der südafrikanischen Armee, vor allem durch den kubanischen Militäreinsatz an der Seite von afrikanischen kommunistischen Kampfverbänden in Angola, galt das Apartheidssüdafrika militärisch (Großbritannien, Frankreich, USA) als unterstützenswert. Vor allem wegen der allerorts drohenden kommunistischen Gefahr war man um einen starken kapitalistischen Partner in Afrika bemüht.

Zum Ziel haben Rassismus und Antisemitismus insofern immer, Rechte von Subjekten entweder als konkurrierende Arbeiter oder eben als ordentliche Lohnempfänger maßgeblich einzuschränken. Aus ökonomischen Interessen heraus marginalisierte Subjekte sollen mittels des Rassismus und Antisemitismus offensichtlich aus der Gesellschaft juristisch exkludiert werden – oder: es bleiben. Dass es in den bürgerlichen Nationalstaaten immer wieder zur Hinterfragung des gleichen Rechts für alle Bürger kommt, lässt sich schon aus der Konstitution der bürgerlichen Gesellschaften als Nationen und den Akten der Rekrutierung ihrer Staatsbürger begründen. Denn die Gleichheit vor dem staatlich durchgesetzten Gesetz gilt in allen bürgerlichen Nationalstaaten immer bloß für ausgewählte, dokumentierte Staatsbürger. Das macht die Rechtsgleichheit in den Nationalstaaten (bis heute) zu einer Rechtsgleichheit einzig von ausgewählten Staatsbürgern. Für Subjekte mit ausländischem Dokument gilt auf gleichem Territorium ein anderes Recht (siehe z.B. Ausländerrecht, Widerstandsrecht in der BRD etc.). Diese offizielle Exklusion wird auch in Zukunft in der nationalstaatlich organisierten bürgerlichen Gesellschaft bestehen bleiben müssen. Und die Definition wer genuiner Staatsbürger und wer nicht ist, bleibt aktuell. So können den durch mögliche Neudefinitionen ausgeschlossenen Gruppen die Verschiebungen in dieser ständigen Diskussion schnell zum Verhängnis werden. Im Nationalsozialismus exkludierte man die Juden aus dem Pool der deutschen Staatsbürger und machte sie so auch zu juristisch Fremden mit anderen Rechten.[21]

Heute entzünden sich wiederum am juristischen Status des Geflüchteten rassistische Debatten; egal ob in Europa, den USA, Australien oder Südamerika. Hiesige europäische ‚Asylkritiker’ möchten in erster Linie nicht, dass für Flüchtlinge, wenn sie denn einmal die inzwischen ungeheuer robusten Grenzen nach Europa überwunden haben, die gleichen Rechte wie für die autochthone, alteingesessenen Staatsbürger gelten (wer oder welche Generation sich zur autochthonen Bevölkerung zählen darf, ist dabei gesellschaftliche Interpretationssache: auch Flüchtlinge aus vorangegangenen Generationen tragen gegen aktuell Geflüchtete ihre rassistischen Bedenken vor – besonders skurril, aber inhaltlich kaum anders als in Europa, wirkt das derzeit angesichts der Geschichte des Landes in den USA). Dass Ausländer, gerade Asylbewerber, tatsächlich nicht die gleichen Rechte besitzen und nicht die gleichen Ansprüche wie Staatsbürger haben, interessiert Rassisten nicht – und wenn, fühlen sie sich von den Institutionen bloß in ihrem Rassismus bestätigt. Rassisten leiten aus den offensichtlichen Rechtsunterschieden ab, dass Nichtstaatsbürger und Flüchtlinge, wenn sie schon als juristischer Fremdkörper gelten, auch keine anderweitige Unterstützung durch ihren Staat erhalten sollen. Spezifisch auf die heutige Situation bezogen heißt das: Den Rassisten ist jedes Geld, was in die Flüchtlingshilfe gesteckt wird und das damit ihnen, in ihrer kruden Logik, ‚weggenommen’ wird, zuviel. Sie sehen all das, was von staatlicher Seite für die Flüchtlinge getan wird, immer als zu teure, nur zu ihren Lasten und ihrer Lebensqualität gehende Almosen ihres Staates an. Jede Chance, die der Flüchtling über Integrationsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt bekommen soll, ist ihnen deshalb ein Hohn auf ihre eigene ökonomisch jämmerliche Existenz oder die persönliche Angst, zukünftig einmal zur jämmerlichen ökonomischen Existenz zu werden. Der Flüchtling soll nicht einmal einen Hauch einer Chance zur Integration unter die gesellschaftliche Herrschaft der BRD bekommen. Rechtes Denken und Handeln, das bestimmte Subjekte gesellschaftlich zum eigenen (eingebildeten) Vorteil gänzlich exkludiert sehen will, stellt sich dabei als ein aus ökonomischen Interessen folgendes historisch beständiges Merkmal der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft der von dem möglichen Bann nicht Betroffenen dar. Im Faschismus, der immer auch die Inklusion der Autochthonen bei gleichzeitiger Exklusion der innenpolitischen Feinde verspricht, realisieren sich diese in der bürgerlichen Gesellschaft exponierenden Ideen von der angeblichen Vorteilhaftigkeit der Exklusion für die Berechtigten. Im heutigen Europa und Amerika sind das Feindbild des sich sukzessive wieder ausprägenden Faschismus vor allem die Subjekte ohne die richtigen Staatspapiere – Illegale, anerkannte Flüchtlinge, Ausländer etc. Nicht, dass dies schon schlimm genug wäre, aber für Faschisten wird es nicht beim Hass auf Illegale, anerkannte Flüchtlinge oder Ausländer bleiben. Der Faschismus ist immer eine Gefahr für die dem Erfolg vermeintlich oder wirklich im Weg stehenden Kritiker des Faschismus – genauso wie für jede schnell aus dem ‚Volkskörper‘ zu exkludierende gesellschaftliche Randgruppe.

Der Faschismus ist deswegen kein von außen an die bürgerlichen Gesellschaften herantretendes Phänomen, sondern mit ihr wesentlich vermittelt. Hannah Arendt behauptet allerdings das Gegenteil, nämlich dass der Faschismus mit der bürgerlichen Gesellschaft nach seiner Machtübernahme einfach tabula rasa machen möchte. Damit verkennt sie die immanenten Gefahren des Faschismus als sich im Schoße der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Rechtsform entwickelndes Phänomen.[22] Schon Marx beschreibt mit dem Bonapartismus das vorherige, unbedingte Funktionieren des bürgerlichen Staates als juristische Grundlage für die diktatorische, ‚faschistische’ Umwälzung durch Louis Bonaparte.[23] Der historisch bislang in seinen ekelhaftesten Konsequenzen unerreichte Faschismus, der Nationalsozialismus, hat sich zu Recht auf die Verfassung der Weimarer Republik als seine Rechtsgrundlage berufen können: Bis zur Auflösung 1945 beruht das ‚Dritte Reich’ juristisch völlig legal, über den Artikel 48, auf der Weimarer Reichsverfassung, die heute als Vorbild in den baltischen Staaten wieder zur Geltung kommt.

Nach dem II. Weltkrieg scheint die Gefahr eines internationalen Rechtsrucks, wie in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, zunächst gebannt. Selbst noch vor 20 Jahren, gar vor 10 Jahren, war die gegenwärtig faschistische, ökonomisch protektionistische politische Entwicklung unvorhersehbar. Die heutige Entwicklung zielt geradezu zersetzend auf den alten politischen ‚Westen’ nach 1945 ab, dessen frühere Ideale sukzessive aus dem politischen Spiel genommen werden. Die alten verbündeten OECD-Staaten stellen verstärkt die ehemals eingegangenen sicherheitsgebenden Bündnisse in Frage. Damit werden nicht nur grundlegende politisch-ökonomische Beziehungen aus der Nachkriegszeit des II. Weltkriegs in Frage gestellt – auch das lange als Opposition zur Sowjetunion gehegte und gepflegte politisch-ökonomische Wertesystem, der über Freihandelsverträge und gemeinsame Wirtschaftsinteressen globalisierte Kapitalismus, wird angegangen. Die politisch-ökonomischen Verhältnisse werden den neuen politischen Verhältnissen nach jahrzehntelangem ideellen und vor allem materiellen Gleichschritt neu geordnet. Man knüpft gegenwärtig neue politisch-ökonomische Verbindungen, die man bis vor kurzem noch für unmöglich gehalten hätte. Zuletzt machte Joschka Fischer diesen grundlegenden Wandel deutlich, als er das mit dem damals noch designierten US-Präsidenten Trump mögliche Ende der Eiszeit der politischen Beziehungen zwischen den USA und Russland beschrieb. Daran macht Fischer, durch Trumps wilde Anti-NATO-Reden im Wahlkampf inspiriert, den Abgesang der immer stärker in die bürgerliche Mitte vordringenden Rechtspopulisten auf die ‚Wertegemeinschaft’ des Westens und seine politisch traditionellen Beziehungen fest.[24]

Zu Fischers Interpretation passt aber auch ein weiteres einschneidendes Ereignis der Zeitgeschichte: Der mittels direkter Demokratie beschlossene Austritt Großbritanniens aus der EU, der so genannte Brexit, lässt sich zweifellos auch in den Zeitgeist der aufkommenden faschistisch-nationalistischen Gegenbewegungen und der dadurch erzwungenen Neuordnung von internationalen Beziehungen einordnen. Die EU war zwar zunächst einmal ein vor allem zu ökonomischen Zwecken geschmiedetes Bündnis gegen die Übermacht der großen kapitalistischen US-Ökonomie nach dem II. Weltkrieg – aber sie war auch als ein internationales kapitalistisches Bündnis gegen den international ausgerichteten Kommunismus der Sowjetunion gedacht. Jene gewachsenen wie rationalen politisch-ökonomischen Verbindungen der kapitalistischen Staaten, die traditionell nach dem II. Weltkrieg eine zweckmäßige Sicherheit auch gegen den bipolaren Block geben sollten, den kommunistischen Klassenfeind Sowjetunion, werden heute nach und nach deshalb offen hinterfragt, weil man sie in der alten Form als kapitalistisch motivierte Schutzverbindungen gegen die Sowjetunion nicht mehr braucht. Die früher abgeschlossenen Verträge gelten den Nationalisten und Faschisten weltweit inzwischen als unnötiger, die Binnenwirtschaft bremsender Ballast, der die eigene Nation nur in ihrer ‚freien Entfaltung’ hemme. Vor allem bis zur Auflösung der realsozialistischen Sowjetunion am 26.12.1991 blieb es ein bedingungsloses und energisches Anliegen der kapitalistischen bürgerlichen Staaten, den Einflussbereich der Sowjetunion sowohl außen- wie innenpolitisch möglichst multilateral, möglichst effektiv einzudämmen. Das alles war ein selbsterhaltendes Prozedere kapitalistischer Nationalstaaten gegen den realexistierenden Sozialismus, um den eigenen angestrebten Weg des Kapitalismus und auch den kapitalistischen Markt bestmöglich abzusichern. Diese Form der Selbsterhaltung gegen den kommunistischen Klassenfeind stellt sich heute als historisch überholt dar. So ist, nachdem die Welt nach dem Fall der den globalen Kapitalismus immer noch begrenzenden Mauern 1990, der nationalistische, rechte Angriff auf alte kapitalistische Werte, Ordnungen und Ideen auch ein Angriff auf die alte und überkommene Weltordnung mit offenem Visier. Um seines Erfolges Willen braucht man den kapitalistischen Weg heute nicht mehr so offensichtlich gegen mächtige äußere Feinde im multilateralen Bündnis gehen. Damals aber musste man ihn selbstverständlich gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten China, Kuba etc. gemeinsam gehen. Die Sowjetunion bzw. die erfolgreiche Oktoberrevolution 1917 stellte den ersten reellen, realpolitisch kommunistischen Feind des mit der Französischen und Amerikanischen Revolution in die Geschichte getretenen bürgerlichen Kapitalismus dar. Direkt im Anschluss an den I. Weltkrieg und die bolschewistische Oktoberrevolution – durch Kriegswirren und die zaristische Bodenreform während des I. Weltkriegs wurde zunächst die Februarrevolution der Menschewiki ausgelöst – begegnete man ihr von Seiten der kapitalistisch organisierten bürgerlichen Nationalstaaten mit einer aggressiven Zersetzungsabsicht: Das Wilsonsche 14-Punkte Programm von 1918 sollte bewusst kleinbürgerliche Nationalisierungswellen in ehemaligen Monarchien initiieren und diese resultierten gerade nach der Auflösung des Kriegsverlierers Österreich-Ungarns in einer europäischen Vielstaaterei. Den jener Zeit gelebten Internationalismus der realsozialistischen Sowjetunion nach der Revolution der Bolschewiki 1917 musste und wollte man entscheidend schwächen. Nicht zuletzt unterstützte man deshalb bis in die 40er Jahre auch in den traditionellen bürgerlichen Staaten nicht nur den aufkommenden Faschismus der Nationalsozialisten, sondern überhaupt den internationalen Faschismus der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Hauptgrund für die damalige Kumpanei von bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften und den zahlreichen faschistisch ausgerichteten Staaten jener Zeit war, dass der Faschismus als ein strenger Antikommunismus der bürgerlichen Gesellschaft in seinen außenpolitischen, aber auch innenpolitischen Ausrichtungen so ähnlich war.[25] Die Appeasement-Politik Neville Chamberlains ist deshalb nicht nur auf die besondere Tatsache zurückzuführen, dass das britische Empire nach dem I. Weltkrieg heftige innenpolitische und finanzielle Probleme hatte, sondern auch auf die allgemeine Angst vor der realen kommunistischen Gefahr aus dem Osten, mit der man auch nicht hatte über Konsequenzen gegen Nazideutschland verhandeln wollen.[26]

Nach dem II. Weltkrieg richtete man die Sozial- und Innenpolitik aller kapitalistischen Staaten rational mit dem Ziel der Eindämmung des Einflussbereichs von der ehemals alliierten Streitmacht Sowjetunion und dem in ihrem Schlepptau erstarkenden realen Kommunismus aus. Während des so genannten ‚Kalten Kriegs’ setzte man in der Bundesrepublik auf die so genannte ‚Sozialverträglichkeit’ aller gesellschaftspolitischen Maßnahmen, um damit einen möglicherweise entscheidenden Linksruck mit Vorbild DDR und Sowjetunion zu verhindern – und natürlich auch, um sozialistische Kritiker in das bürgerliche Lager zu ziehen und vom Modell der sozialen Marktwirtschaft als des wahren Sozialismus zu überzeugen. Die Versuche der Integration der Kritiker in den institutionellen Machtapparat ging hervorragend auf. Die Sozialhilfeleistungen, das relativ gute Arbeitslosengeld etc. zeigten sich als durchaus rationale Maßnahmen gegen den damals möglich scheinenden sozialistischen Aufbruch der so genannten 68er Generation und der relativ starken APO. Die Entwicklungen der allgemeinen ‚Wohlfahrt’ waren aber nicht nur in der BRD eine rationale Maßnahme gegen den politischen Feind Kommunismus, sondern auch international sich durchsetzende Reaktionen der bürgerlichen Gesellschaft auf die kommunistischen Gefahren jener Zeit und nicht nur in der Bundesrepublik ein beliebtes Mittel der Integration von Kritikern. So fand der britische Welfare-State seine umfassende, wirkliche Ausprägung auch nicht ohne Grund erst mit dem Beveridge-Report in den 1940er Jahren.[27] Zudem wurden in den OECD-Staaten bei jeder Möglichkeit der american dream, der verfassungsmäßig verbriefte amerikanische pursuit of happiness und die Meinungsfreiheit wie auch die Reisefreiheit als höchstes Gut der Menschheit angepriesen.

Als es dann 1989 zum recht schnellen realpolitischen Zerfall des ‚bipolaren Blocks’ kommt, verändert sich die weltpolitische und ökonomische Ausgangslage der Welt schnell. Die juristische Vereinigung von DDR und Bundesrepublik Deutschland 1990, womit der Wiederaufstieg Deutschlands als weltpolitische Macht und ernstzunehmender kapitalistischer Handelspartner besiegelt wurde, wäre wenige Jahre zuvor aus politischen, historischen und ökonomischen Gründen gänzlich unmöglich gewesen. Doch die politisch-ökonomischen Veränderungen schlagen andernorts viel brutaler als in Deutschland zu – und sind nicht nur ökonomisch Subjekte vernichtende Maßnahmen. Dort reißt man nicht nur symbolgeladen Mauern ab, sondern blutig werden die politisch-ökonomischen Verhältnisse neu ausgerichtet. In vielen sich aus dem Machtbereich herauslösenden Staaten der Sowjetunion kommt es nach 1990 im Zuge der Kapitalisierungswellen zu zuvor kaum für möglich gehaltenen Bürgerkriegen. Zu nennen ist vor allem der Jugoslawienkrieg. Er ist Resultat eines wiedererstarkenden und während der Sowjetzeit kleingehaltenen Ethnonationalismus. Die sich nach dem politischen Ende der Sowjetunion wieder durchsetzende Vielstaaterei beginnt – nicht gerade grundlos – in den nach dem Wilsonschen 14-Punkte-Programm als eigenständig aufgebauten Staaten Slowenien und Kroatien, das sich des fortlaufenden ideellen Einflusses der Ustaša über die jugoslawischen Jahre nicht entledigen konnte. Jene Folgen der Auflösung der Sowjetunion und die Neuordnung der politischen Einflusssphären kann man auf dem Balkan (Montenegro, Kosovo etc.) bis heute beobachten.

Aber auch in anderen Regionen und mit anderem historischen Hintergrund lassen sich Konflikte nach dem Zerfall der Sowjetunion beobachten. Neben der kapitalistischen Öffnung der VR Chinas unter Deng Xiaoping (entscheidend für die allgemeine kapitalistische Aufbruchstimmung in China lassen sich die blutigen Ereignisse am Tiananmen-Platz von 1989 heranziehen, aber auch die zunehmende Isolation Nordkoreas durch die VR China) sind es vor allem außenpolitische Eskalationen wie der Irakkrieg unter George Bush Senior 1991, die innerhalb der politischen Blockkonstellation so in der Form nicht möglich gewesen wären. Der II. Golfkrieg zeigt sich als ein aus dem Versuch geborener Eingriff der USA und ihrer Verbündeten, sich weltpolitisch in der Region des Mittleren Ostens und dem ehemaligen Einflussgebiet der Sowjetunion, gegen den lange sowjetorientierten Baath-Sozialismus Husseins im Irak, jetzt entsprechend stark zu positionieren. Das traditionelle Einflussgebiet der Sowjetunion konnte inzwischen ohne offene Kriegsgefahr mit der zuvor militärisch ebenbürtigen Sowjetunion kapitalistisch neu geordnet werden. Der Krieg im Golf war deshalb schon kein klassischer Stellvertreterkrieg mehr um den Einfluss in ökonomisch oder politisch wichtigen Gebieten, er war kein Säbelrasseln zweier ökonomisch unterschiedlicher Blöcke, sondern der Krieg wurde zum Zweck der Sicherung des ökonomischen Machteinflusses der OECD-Staaten in diesem Gebiet geführt. Der Krieg um den Zugriff auf die Ölquellen in der Region um Euphrat und Tigris, Öl als der immer noch wesentliche Rohstoff kapitalistisch produzierender Staaten, war deshalb ein früher, schon rational vorausschauender Kampf gegen den Einfluss des sich jetzt sukzessive kapitalistisch auf dem Weltmarkt positionierenden Nationalstaats Russlands. Nicht zuletzt entzündete sich der Golfkrieg von 1991 dabei an der Existenz Kuwaits – einem mit dem Westen traditionell verbündeten Staat.

Selbst der gegenwärtige Syrienkonflikt, der die ‚Flüchtlingskrise’ mitauslöste, lässt sich unter den Krieg um den politischen Einfluss auf die Ölvorkommen und den politisch-ökonomischen Einfluss in der Region subsumieren. Heute aber zeigt sich der größte postsowjetische Staat und entscheidende kapitalistische Konkurrent, Russland, wieder als handlungsfähiger und ebenbürtiger als zu Zeiten der Golfkriege. Der gegenwärtig im Westen oft irreführend als ‚Putins Krieg’ oder auch mal als ‚Bürgerkrieg’ bezeichnete Kampf um die Herrschaft in Damaskus ist kein klassischer Bürgerkrieg, sondern ein wichtiger Interessenkrieg um kapitalistischen Einfluss und Rohstoffe in der Region. Offensichtlich betreiben hier die westlichen bürgerlichen Staaten bis zum gewissen Grad eine gemeinsame, gewaltsame Geopolitik, die auch vor Maßnahmen nicht zurückschreckt, über die man öffentlich-rechtlich ungern redet: Indem man islamistische Brigaden in Syrien vor allem über den Finanzierungsumweg Saudi-Arabien – selbst von israelischer Seite[28] aus – unterstützt, versucht man massiv den russischen Einfluss auf Syrien und den ebenfalls der internationalen Baath-Partei angehörenden Assad zurückzudrängen, bzw. dem traditionellen russischen Einfluss in der Region Einhalt zu gebieten.

Zugegeben dreht sich der Versuch, politisch wie ökonomisch Einfluss in strategisch wichtigen Staaten zu gewinnen (oder auch zurückzugewinnen) nicht nur um wichtige Rohstoffe wie das immer knapper werdende, aber durch die langsame Entwicklung in dem Bereich der Forschung nach alternativen Energien noch kapitalistisch notwendige Öl. Geopolitisch wichtige, aber als große global player ausscheidende (kommunistisch-sowjetbezogene) Staaten wie Kuba, Afghanistan, Vietnam, Kambodscha, Myanmar etc. geraten nun ebenso offensichtlich ins Fadenkreuz von kapitalistisch-ökonomischen Interessen. Eine aggressive Rhetorik wird gegenwärtig gegen den immer bedeutender werdenden Einfluss des sich kapitalisierenden Chinas, trotz der andauernden Führungsrolle der KPC, aufgrund der zunehmend wichtiger werdenden Positionierung im südchinesischen Meer gefahren. Auch das lange gehegte und gepflegte kubanische Handelsembargo wird zurückgenommen, um dem Kapital einen Zugang auf die realsozialistische Insel zu ermöglichen.

Was aber haben die politischen Neuordnungen nach 1990 mit dem heute im Zuge der ‚Flüchtlingskrise’ aufkommenden Faschismus in Europa und Amerika zu tun? Dass die ‚Flüchtlingskrise’ durch die Außenpolitik der Neuordnung auch auf die Außenpolitik von OECD-Staaten zurückzuführen ist, wurde oben deutlich. Doch auch innenpolitisch hat sich nach dem sukzessiven Zerfall des realexistierenden Sozialismus eine Menge geändert. Recht schnell passt man sich nach der Auflösung der Sowjetunion auch innenpolitisch der neuen weltpolitischen Lage an an. Das geschieht aus dem Sachzwang der kapitalistischen Neuordnung der politischen Verhältnisse heraus. Die Festigkeit des Kapitalismus in den bürgerlichen Staaten als Naturgesetz wird inzwischen nicht mehr durch einen bipolaren kommunistischen oder besser: realsozialistischen Block in Frage gestellt. Man sieht sich jetzt aufgrund der sich ändernden politisch-ökonomischen Sachzwänge gezwungen, die soziale Marktwirtschaft, die man als guten Kapitalismus verkaufte, zu reformieren. Weil der Kapitalismus als einzig gehbarer Weg der kulturellen Naturbearbeitung gilt, wird er innenpolitisch reformiert. Ganz rational soll die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den neu auf den kapitalistischen Weltmarkt drängenden großen Konkurrenten, vornehmlich die VR China und Russland, gewährleistet werden. Weil die große sowjetisch-chinesische, kommunistische Konkurrenz des Kapitalismus wegfiel, hielt nichts, bis auf vereinzelte Naturkatastrophen, den ungehemmten Lauf des Kapitalismus nach 1990 auf. Was folgte, war, neben der außenpolitischen Neuordnung von Einflussgebieten, auch eine innenpolitische Rationalisierung des Kapitalismus. Diese Straffung des Kapitalismus wurde ökonomisch rational und bedingungslos durchgeführt. Aufgeweicht wurden die soziale Marktwirtschaft und ihre sozialen Absicherungssysteme, wodurch man sich  sukzessive des Ballasts der staatlichen sozialen Sicherungssysteme entledigt. Auf dem weltweit durchgesetzten kapitalistischen Markt hemmten diese inzwischen die globale Konkurrenzfähigkeit, weshalb der ‚Wohlfahrtsstaat’ nach 1990 haushaltsfreundlich umgestaltet wurde. Diese Umgestaltung hält bis heute an. Für die Bundesrepublik heißen diese Sachzwänge durch den Zuwachs der Konkurrenz an billigen Arbeitskräften in anderen Teilen der Welt konkret: Sozialhilfe wurde zu Hartz IV, das Arbeitslosengeld wurde zu ALG I. Nach 1990 wurden auch konsequent Arbeitszeiten nach oben geschraubt, das Rentenalter (selbstverständlich nicht nur in Deutschland) gesetzlich heraufgesetzt und die realen Löhne und Gehälter fallen inzwischen sehr viel spärlicher aus. Zudem wurden Urlaubs- und Feiertage gestrichen, und der universitäre Bildungsbetrieb wurde durch die so genannten Bolognareformen bis zu einem reinen Ausbildungsbetrieb für gesellschaftlich höhere Aufgaben zusammengekürzt. All diese krassen Veränderungen durch die sozialen Reformen drücken sich in den westlichen Gesellschaften in einem permanenten Krisenzustand der betroffenen Bevölkerung aus. In den letzten 25 Jahren bildeten sich vermehrt Zukunftsängste heraus. Nachweisbar hat sich mit dem kapitalistischen Aufbruch der ehemaligen sowjetischen Staaten, insbesondere Russlands, die ökonomische Lage der Subjekte in den OECD-Industriestaaten zunehmend verschlechtert. Der gesellschaftliche Reichtum zeigt sich heute, als Resultat des barrierefreieren Kapitalismus, sehr viel ungleicher verteilt. Thomas Piketty antwortet auf diese Misere in seinem Buch mit inzwischen längst verloren gegangenen sozialdemokratischen Werten als Lösungsansatz, um die recht verfahrene gesellschaftliche Lage in Frankreich wieder in den Griff zu bekommen – ohne aber, dass er die substanzielle Ursache dafür, den Kapitalismus und seine rationale Systematik der Akkumulation, angreift.[29]

Der heutige Kapitalismus bildet sich durch die Aufgabe der historisch sinnvollen sozialen Sicherungssysteme gegen den so genannten Ostblock immer weiter zu einem kapitalistischen System zurück, das Marx in der ungehemmten Brutalität im Kapital adäquat beschreibt. Eindrucksvoll analysiert Marx das zu seiner Zeit durchgreifende System der kapitalistischen Wertschöpfung. Auch ein gewonnener Kampf um den Achtstundentag stellt sich für Marx letztendlich nur als eine rationale Maßnahme des Staates dar, den Proletarier produktivkraftsteigernd effizienter auszubeuten und dadurch als Arbeitskraft für die große Industrie einfach länger gesund und am Leben zu halten.[30] Die große Industrie hat sich heute allerdings, im Vergleich zur Zeit der Niederschrift des Kapitals, aus den ehemaligen westlichen Industriestaaten aus ökonomischen Gründen fast gänzlich verabschiedet. Das macht immens großen Teilen der Bevölkerung, vor allem ungebildeten und schlecht ausgebildeten Proletariern, zu schaffen. Die bekannte Politikerrede davon, dass sich ein Großteil der Menschen heute ökonomisch abgehängt fühlt, ist falsch. Aber nicht, weil es ‚uns’ doch ‚im Vergleich’ noch so gut gehe (eine Argumentation, die nur das herrschende Gewaltverhältnis rechtfertigen soll), sondern weil die relative Armut in den westlichen OECD-Staaten kontinuierlich tatsächlich steigt und im Technologiezeitalter für große Teile der lohnarbeitenden Bevölkerung die Zukunft alles andere als rosig aussehen wird, sprich: ein Großteil der Proletarier ist tatsächlich ökonomisch abgehängt oder wird es bei weiterem exponentiellem Verlauf der kapitalistischen Entwicklung werden. Die Angst vor der Zukunft ist deshalb nicht unbegründet.

Im Zuge allgemeiner und rationaler Umstrukturierungen, verschuldet durch die allgemeine Steigerung der Produktivkraft, was wiederum einen harten Konkurrenzkampf um die wenigen übriggebliebenen Arbeitsplätze zur Folge hat, muss inzwischen sogar nahezu jeder Bürger, und nicht nur der um seinen Arbeitsplatz kämpfende Proletarier, um seine ökonomische Zukunft, seine eigene Reproduktion, bangen. Wie Marx auch bereits im Kapital urteilte: „Je ein Kapitalist schlägt viele tot.“[31] Und so grassiert auch unter den ökonomisch weit besser gestellten, die nicht zu den Abgehängten zählen, eine berechtigte Angst, zukünftig nicht mehr (akzeptabel) dazu zu gehören: Zeitarbeitsverträge, geringer Rentenanspruch, Arbeitsbelastung etc. machen sich selbst in den höheren Angestelltenpositionen psychisch wie physisch bemerkbar. Nichts und niemand ist vor dem immer drohenden ökonomischen und gesellschaftlichen Abstieg sicher: kein großes Unternehmen und erst recht kein Subjekt. Dass alle Subjekte ausnahmslos von den systematischen Bedingungen des Kapitalismus in ihrer Reproduktion bedroht werden, sah schon Marx, der die affirmative wie negative Bezogenheit der großen Klassen aufeinander bereits systematisch herausarbeitete.[32]

Es sind insofern außenpolitische wie innenpolitische Faktoren, die sich in ihrer Dialektik für die heute breiten rassistischen Äußerungen in Europa im Zuge der ‚Flüchtlingskrise’ verantwortlich zeigen. Beide Faktoren sind mit den systematisch kapitalistischen Verhältnissen der Gegenwart untrennbar verbunden. Es ist der nach 1990 von seinen realsozialistischen Hemmnissen befreite, systematisch kapitalistische Zwang zur gegenseitigen Konkurrenz in der bürgerlichen Gesellschaft, der die Subjekte immer mehr und stärker gegen andere in Konkurrenz stellt. Die Konkurrenten macht man schwach und denunziert sie, was den eigenen Wert in der Gesellschaft steigern kann. Einfacher scheint es, gesellschaftlich Schwache als mögliche Konkurrenten vom Markt zu halten. Deswegen werden in einem Akt vorauseilenden Gehorsams Flüchtlinge rassistisch abgewertet. Sie werden als potentielle Konkurrenten abgelehnt, weil man selbst händeringend nach Unterstützung bei der Realisation der eigenen Reproduktion sucht. Der Drang nach billiger kapitalistischer Arbeit findet mit Flüchtlingen ja auch tatsächlich einen Pool von ausbeutbaren Subjekten vor. Auch dieses Argument ist aus kapitalistischer Sicht nicht von der Hand zu weisen.

Innerhalb des gesellschaftlichen Zusammenhangs bevorzugen immer mehr Bürger rassistische Erklärungen für die eigene oder die gesellschaftlich prekäre Lage – die immanent aus der Systematik des kapitalistischen Systems betrachtet nicht einmal nur falsch ist. Von den Rassisten werden die eigenen ökonomischen Ängste auf jegliche ökonomische Veränderungen projiziert, die der eigenen Reproduktion und Lebensqualität womöglich im Wege stehen. Diese Auffassung ist trotz ihrer immanenten Richtigkeit verkürzt. Die Rassisten machen nicht die genannten materiellen gesellschaftlichen Zusammenhänge als Ursache für die eigene schlechte Situation verantwortlich, sondern zeigen in vollstem Vertrauen auf das kapitalistische System mit dem Finger auf die, die von ihnen persönlich für die gesellschaftlichen Umstände haftbar gemacht werden. Dabei ist ganz gleichgültig, ob Flüchtlinge, gierige Banker, das elitäre Establishment, Juden, Muslime etc. als die Feinde des ordinären Volkes ausgemacht werden. Angesichts des gesellschaftlichen Reichtums wird die eigene Armut, auch angesichts der mangelnden Zukunftsperspektive, von einer großen Masse der Bevölkerung begriffen. Schnell ist man neidisch auf jene, die es wirklich oder vermeintlich einfacher in der Gesellschaft haben. Die Systematik des Kapitalismus und seine rationale Wertschöpfung bleibt von den Rassisten aber unbegriffen. Sie lehnen nicht den Kapitalismus als ökonomisches System der modernen gesellschaftlichen Herrschaft als Ganzes ab, sondern nur das, was man unter Kapitalismus meint zu verstehen: die Zirkulationssphäre und die sozialen Phänomene. Die Mühe einer substantiellen, die Dialektik von Zirkulation und Produktion aufzeigenden Kritik wird sich von Rassisten wie auch von kleinbürgerlichen Gesellschaftskritikern nicht gemacht: stattdessen zeigt man lieber mit dem Finger auf vermeintlich gierige oder unberechtigt Gelder einstreichende Menschen (Flüchtlinge, Banker etc.), die dann im nächsten Schritt für die eigene prekäre und miserable gesellschaftliche Lage verantwortlich gemacht werden. Die Personifikation von sachzwänglich Systematischem ist immer auch der Kern der faschistischen Ideologie gewesen – und er wird heute zum Kern der neofaschistischen Ideologie: persönliche Verleumdungen halten anstelle gesellschaftlicher, ökonomischer Verhältnisse her. Angebliche, gruppierte Feinde des eigenen, möglichen und allerorts spürbaren partikularen Wohlstandes werden von den Faschisten denunziert. Auch der (Neo-)faschismus identifiziert Feinde des Volkes, dem das Reichtum durch diese Gruppen geklaut wird. Der Synkretismus der faschistischen Bewegungen absorbiert alle persönlichen Diffamierungen und unterschiedlichste Theorieansätze, die sich zum Teil auch völlig widersprechen, differenzlos in einer übergeordneten Idee. Deshalb können für Faschisten Juden Kommunisten und Kapitalisten zugleich sein – weil zum einen all das als wahr gilt, was man zur Erreichung des politischen Ziels dienlich findet und zum anderen der Volksverräter am Volkseigentum rein formell bestimmt wird. Unterschiede im Inhalt interessieren Faschisten nicht. Das ist das Resultat der großzügigen Übernahme eines bürgerlichen Pluralismus und gesellschaftswissenschaftlichen Relativismus.

Weil man sich im kleinbürgerlichen und faschistischen Lager die gesellschaftlichen Dinge nicht materiell-systematisch erklärt, setzt man sich eindimensional mit den komplexen, gesellschaftlichen Zusammenhängen auseinander. Die kleinbürgerlich-nationalistische Lösung des systematischen Problems sieht deshalb im gegenwärtig vermehrt propagierten Protektionismus eine Antwort auf die Komplexität von Kapital und seiner systematischen Expansion – als notwendige Maßnahme gegen den globalisierten und von der Elite beförderten kapitalistischen Welthandel. Auch vermeintlich linke Kritiker von TTIP und CETA fallen darunter, ohne dass ihnen ihre inhaltliche Nähe – unter zugegebenermaßen formell anderen Akzentuierungen – zu neofaschistischen Positionen bewusst wird. Genau an der Stelle können faschistische Querfrontler die ehemals kleinbürgerlichen Linken abgreifen. Weil sowohl nicht die Ökonomie als auch nicht die kapitalistische Klassenherrschaft von linken wie rechten Kleinbürgern als das wesentliche, schwerwiegende Problem der allgemeinen Armut (auch der Flüchtlinge) auf der Welt erkannt wird, kommen sie in trauter Einigkeit auf einen gemeinsamen, falschen Nenner ihrer ‚Kritik‘: die systembedingte Internationalität durch die globale Expansion der Wertschöpfung. Die durch die kleinbürgerlichen Linken als Ursache der falschen Verteilung denunzierten kriminellen Machenschaften von EU, Wall Street und Banken werden von den rechten Kleinbürgern um Flüchtlinge, Ausländer etc. ergänzt, die daneben das Volkseigentum stehlen würden. Deshalb wird vom Populismus von Links wie Rechts eine möglichst einfache Lösung des gesellschaftlichen Problems hochgehalten: das radikale, auf Personen und Funktionen abzielende ‚Ausmisten’.

In der an die Verkürzungen der Linken anschließenden Rechten tritt allerdings noch etwas hinzu: In der faschistischen Ideologie zeichnet sich bedrohlich der Untergang von Staat und Volk ab. Für die Neo-Faschisten von heute neigt sich die früher glorreiche Zeit des Staates durch die Reichtum und Ehre vernichtenden Eliten, Flüchtlinge, Obdachlose, Arbeitslose etc. dem Ende zu. Sie meinen deshalb, sich zum einen von der gesamten Elite, dem politischen Establishment inklusive, endlich das zurückholen zu müssen, was man als Volk in der Vergangenheit besessen hätte und wo man vermeintlich ein geburtsbedingtes Mitspracherecht hat – und was man gegenüber den Exkludierten als rechtmäßige Besitzer beansprucht: den nationalen Staat. Auch Donald J. Trumps Wahlslogan, „Make America great again“, bestätigt dies. Das ‚Urvertrauen’ des zornigen, faschistischen Volks in den bürgerlichen Staat als kapitalistischem Nationalstaat bleibt unerschüttert, lediglich die betrügerischen Eliten sollen gegen volksfreundliche Vertreter ausgetauscht werden. Drain the swamp. Bloß das Vertrauen auf das bisherige Recht und Gesetz und das, was die davon profitierenden Eliten aus dem Staat gemacht haben, ist für die Faschisten aufgebraucht. Ihr Vertrauen in Kapitalismus und law and order nicht; beide Faktoren sollen erst richtig zur Geltung kommen.

Weil die Zukunftsangst, gepaart mit dem Zwang, sich gegen Konkurrenten die eigene Möglichkeit der Reproduktion zu sichern, auf die aktuelle so genannte ‚Flüchtlingskrise’ trifft, entsteht ein solch explosives Gemisch. Die ‚Flüchtlingskrise‘ ist deshalb am derzeitigen Rassismus und (Neo-)Faschismus nicht wesentlich ’schuld‘, sondern bloß phänomenal, als ein funktionales Ventil für den gegenwärtigen Rassismus verantwortlich. Das Phänomen ‚Flüchtlingskrise’, selbst auch noch Folge kapitalistischer Interessen in den Herkunftsländern der Asylantragssteller, hält insofern für gesellschaftlich Anderes her. Durch diese Funktionalität der ‚Flüchtlingskrise’ als Lückenfüller des geschichtlichen Vakuums verschiebt sich der Fokus vom gesellschaftlich für diese systembedingte Krise Wesentlichen, dem Kapitalismus, aufs Phänomenale, vom kapitalistischen Wesen hervorgebrachte: die Flüchtlinge. Absolut ekelhaft zeigt sich der anvisierte Lösungsansatz der faschistischen Kleinbürger dabei: wenn erst einmal die Flüchtlingsströme kontrolliert eingeebnet würden und die Eliten, die diesen ‚Flüchtlingsstrom’ persönlich zu verantworten hätten (‚Danke Merkel’) vertrieben sind – dann könne die Gesellschaft wieder aufblühen. Der Neofaschismus hofft an der Stelle auf eine subjektive Autonomie und politische Selbstbestimmung, die es unter den gegenwärtigen gesellschaftlich-ökonomischen Verhältnissen gar nicht geben kann – nicht, weil Flüchtlinge, Ausländer, Juden, Banker, Manager etc. dem entgegen stehen, sondern weil im Kapitalismus, den die Faschisten ebenso wenig wie den Staat abschaffen wollen, systematisch die Autonomie des Subjekts heteronom von Außen immer wieder gebrochen wird. Eine subjektive Autonomie kann sich überhaupt erst dann entfalten, wenn Subjekte nicht mehr nur Mittel zum Zweck der kapitalistischen Reichtumsproduktion sind, sondern die gesellschaftliche Reichtumsproduktion zum Zweck des Subjekts wird. Dann allerdings würde es auch keine systematische Konkurrenz der Subjekte mehr geben, die sich zum Zweck ihrer eigenen Selbsterhaltung immer zum heteronomen Mittel des kapitalistischen Produktionsverhältnisses machen müssen.

Dies in Deutlichkeit zu erkennen erfordert eine entsprechende Bildung, die man sich heute schwerlich in der Schule oder anderen (Bildungs-)Institutionen des bürgerlichen Staates aneignen kann. Deshalb muss sie außerinstitutionell stattfinden. Sie muss sich von offensichtlichen Fakten erst einmal lösen, ohne sie einfach über Bord zu werfen oder sich von ihnen dumm machen zu lassen, sondern sich anschicken, ihnen auf ihren wesentlichen Grund zu fühlen. Das erst lässt die wahren Ursachen für die gesellschaftlichen Verhältnisse erkennen. Durch eine solche Erkenntnis ist man zwar praktisch der Lösung von Elend und Leid auf dieser Welt noch kein Stück näher gekommen. Doch man kann mit ihr erkennen, dass die ‚Flüchtlingskrise’ nicht für den heutigen Rechtspopulismus oder besser: Rechtsextremismus verantwortlich ist, sondern dass diese nur als ein Ventil für tieferliegende Ambivalenzen in der bürgerlichen Gesellschaft fungiert.

[1] Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsruck-in-europa-der-aufstieg-der-rechtspopulisten/12470978.html (Abgerufen 05.02.2017).

[2] http://www.focus.de/politik/videos/plus-von-2-5-prozent-nach-dem-terror-von-berlin-umfragewerte-der-afd-steigen-deutlich_id_6399541.html

[3] http://www.epochtimes.de/politik/europa/die-niederlande-vor-der-wahl-im-maerz-2017-wilders-liegt-in-umstrittenen-umfragen-weit-vorne-a2021133.html

[4] http://www.bild.de/politik/ausland/frankreich-wahlen/le-pen-liegt-nach-umfrage-vorn-49748840.bild.html

[5] Samuel Salzborn, Wo liegt eigentlich Ungarn? http://www.demokratie-goettingen.de/blog/wo-liegt-eigentlich-ungarn.

[6] http://www.news.com.au/national/politics/newspoll-pauline-hanson-on-the-rise-as-coalition-support-dives/news-story/84f2038c8f781da0ad2aa6f6a247183b

[7] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fluechtlinge-probleme-und-chancen-fuer-deutschland-a-1060764.html, oder: „Unsere Chance sind die Flüchtlinge.“ http://www.sueddeutsche.de/kolumne/fluechtlinge-chance-und-risiko-1.2643364

[8] http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Moralische-Verpflichtung-und-Gebot-der-Vernunft;art673,1120246

[9] Vgl. http://www.taz.de/!5297438/

[10] https://www.nytimes.com/2016/09/11/us/politics/hillary-clinton-basket-of-deplorables.html?_r=0

[11] So fordert es beispielsweise Pro Asyl https://www.proasyl.de/thema/rassismus/fakten-gegen-vorurteile/ oder auch die Antonio Amadeu Stiftung http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hetze/pro-menschenrechte-contra-vorurteile-fakten-und-argumente-zur-debatte-ueber-fluechtlinge-in-deutschland-und-europa/

[12] Vgl. dazu Freerk Huisken, Warum Demokraten (Neo-)Faschisten nicht kritisieren, sondern nur verbieten können, http://fhuisken.de/DemFasch.htm

[13] Vgl. http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/afd-gruppe-an-der-uni-duesseldorf-nur-noch-mit-pfefferspray-auf-den-campus-a-1105782.html

[14] Vgl. z.B. http://www.tagesspiegel.de/berlin/afd-politiker-und-hu-professor-maskierte-greifen-dozenten-der-berliner-humboldt-uni-an/14927574.html

[15]

[16] Leo Tolstois Werk Krieg und Frieden beleuchtet eindrucksvoll den Kampf von bürgerlichen Aufklärern und antibürgerlichen Reaktionären im Zarenreich vor dem Dekabristenaufstand von 1825. Vgl. Leo Tolstoi, Krieg und Frieden, Düsseldorf 2002.

[17] Privileg im Feudalismus heißt nicht wie heute im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes Vorteil, sondern es beschreibt hier die unterschiedlichen rechtlichen und ökonomischen Stellungen der (Volks-)Gruppen in der feudalen Gesellschaft.

[18] Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus, Frankfurt a.M. 2005, S. 105.

[19] Detlev Claussen, Was heißt Rassismus?, Darmstadt 1994, S. 23: „Im Kern des Rassismus geht es um das gewaltsame Verhältnis von Körper und Arbeit, die beide in der gesellschaftlichen Moderne zu Objekten der Ausbeutung geworden sind.“

[20] http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/85/85_4/rsa.htm

[21] Auch heute werden in Europa wieder Staatsbürgerschaften entzogen.

[22] Hannah Arendt macht diesen Fehler im Rahmen ihrer Totalitarismusthese. Sie ist der Auffassung, dass der Nationalsozialismus die bürgerliche Rechtsordnung völlig verkehrt habe. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2003, S. 947: „Nun ist zwar totalitäre Herrschaft ‚gesetzlos’, insofern sie prinzipiell alles positiv gesetzte Recht verletzt [sic!].“

[23] So „scheint“ sich „der Staat“ nur „völlig verselbständigt zu haben.“ Karl Marx, der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, Berlin 1960, S. 197.

[24] Joschka Fischer, ‚Den Westen’ könnte es bald nicht mehr geben, http://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-die-fundamente-rutschen-1.3183134.

[25] „In fact, at one time or another between 1933 and 1941 all other major players in the game treated Germany accordingly.“ Eric Hobsbawm, The Age of Extremes. 1914-1991, London 1994, S. 143.

[26] Vgl. ebd., S. 154.

[27] Sir William Beveridge, Social Insurance and Allied Services, https://www.sochealth.co.uk/national-health-service/public-health-and-wellbeing/beveridge-report/

[28] Vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-golanhoehen-werden-zur-naechsten-front-a-1014237.html

[29] Thomas Piketty hat jüngst die Ungleichheit untersucht und kam zu dem Schluß, dass es schon seit den 1970er Jahren zu einer Ungleichverteilung kommt. Er führt aber die Gewinne nicht auf den Kapitalismus in seiner Systematik zurück, sondern er möchte unsystematisch lieber an Schrauben drehen, die die systematischen Auswüchse verhindern. Der Kampf gegen Windmühlen ist vorprogrammiert. Vgl. Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014.

[30] Vgl. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, MEW 23, Berlin 2005, S. 245 ff.

[31] Ebd., S. 790. Vgl. hierzu auch Fußnote 28.

[32] So ist die Arbeiterklasse affirmativ über die Arbeitsteilung und das gemeinsame Interesse, die eigene Ausbeutung zu verringern, aufeinander bezogen. Negativ aufeinander ist sie durch die Konkurrenz um Arbeitsplätze bezogen. Die Kapitalistenklasse ist positiv durch die technische Abhängigkeit der Einzelkapitale aufeinander bezogen, negativ durch die Bezogenheit der Einzelkapitale auf einen begrenzten Marktmagen (gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate), der Ausspuckt, was zu viel, zu unökonomisch oder einfach zu teuer ist.

[1] Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsruck-in-europa-der-aufstieg-der-rechtspopulisten/12470978.html (Abgerufen 05.02.2017).

[2] http://www.focus.de/politik/videos/plus-von-2-5-prozent-nach-dem-terror-von-berlin-umfragewerte-der-afd-steigen-deutlich_id_6399541.html

[3] http://www.epochtimes.de/politik/europa/die-niederlande-vor-der-wahl-im-maerz-2017-wilders-liegt-in-umstrittenen-umfragen-weit-vorne-a2021133.html

[4] http://www.bild.de/politik/ausland/frankreich-wahlen/le-pen-liegt-nach-umfrage-vorn-49748840.bild.html

[5] Samuel Salzborn, Wo liegt eigentlich Ungarn? http://www.demokratie-goettingen.de/blog/wo-liegt-eigentlich-ungarn.

[6] http://www.news.com.au/national/politics/newspoll-pauline-hanson-on-the-rise-as-coalition-support-dives/news-story/84f2038c8f781da0ad2aa6f6a247183b

[7] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fluechtlinge-probleme-und-chancen-fuer-deutschland-a-1060764.html, oder: „Unsere Chance sind die Flüchtlinge.“ http://www.sueddeutsche.de/kolumne/fluechtlinge-chance-und-risiko-1.2643364

[8] http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Moralische-Verpflichtung-und-Gebot-der-Vernunft;art673,1120246

[9] Vgl. http://www.taz.de/!5297438/

[10] https://www.nytimes.com/2016/09/11/us/politics/hillary-clinton-basket-of-deplorables.html?_r=0

[11] So fordert es beispielsweise Pro Asyl https://www.proasyl.de/thema/rassismus/fakten-gegen-vorurteile/ oder auch die Antonio Amadeu Stiftung http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hetze/pro-menschenrechte-contra-vorurteile-fakten-und-argumente-zur-debatte-ueber-fluechtlinge-in-deutschland-und-europa/

[12] Vgl. dazu Freerk Huisken, Warum Demokraten (Neo-)Faschisten nicht kritisieren, sondern nur verbieten können, http://fhuisken.de/DemFasch.htm

[13] Vgl. http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/afd-gruppe-an-der-uni-duesseldorf-nur-noch-mit-pfefferspray-auf-den-campus-a-1105782.html

[14] Vgl. z.B. http://www.tagesspiegel.de/berlin/afd-politiker-und-hu-professor-maskierte-greifen-dozenten-der-berliner-humboldt-uni-an/14927574.html

[15]

[16] Leo Tolstois Werk Krieg und Frieden beleuchtet eindrucksvoll den Kampf von bürgerlichen Aufklärern und antibürgerlichen Reaktionären im Zarenreich vor dem Dekabristenaufstand von 1825. Vgl. Leo Tolstoi, Krieg und Frieden, Düsseldorf 2002.

[17] Privileg im Feudalismus heißt nicht wie heute im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes Vorteil, sondern es beschreibt hier die unterschiedlichen rechtlichen und ökonomischen Stellungen der (Volks-)Gruppen in der feudalen Gesellschaft.

[18] Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus, Frankfurt a.M. 2005, S. 105.

[19] Detlev Claussen, Was heißt Rassismus?, Darmstadt 1994, S. 23: „Im Kern des Rassismus geht es um das gewaltsame Verhältnis von Körper und Arbeit, die beide in der gesellschaftlichen Moderne zu Objekten der Ausbeutung geworden sind.“

[20] http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/85/85_4/rsa.htm

[21] Auch heute werden in Europa wieder Staatsbürgerschaften entzogen.

[22] Hannah Arendt macht diesen Fehler im Rahmen ihrer Totalitarismusthese. Sie ist der Auffassung, dass der Nationalsozialismus die bürgerliche Rechtsordnung völlig verkehrt habe. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2003, S. 947: „Nun ist zwar totalitäre Herrschaft ‚gesetzlos’, insofern sie prinzipiell alles positiv gesetzte Recht verletzt [sic!].“

[23] So „scheint“ sich „der Staat“ nur „völlig verselbständigt zu haben.“ Karl Marx, der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, Berlin 1960, S. 197.

[24] Joschka Fischer, ‚Den Westen’ könnte es bald nicht mehr geben, http://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-die-fundamente-rutschen-1.3183134.

[25] „In fact, at one time or another between 1933 and 1941 all other major players in the game treated Germany accordingly.“ Eric Hobsbawm, The Age of Extremes. 1914-1991, London 1994, S. 143.

[26] Vgl. ebd., S. 154.

[27] Sir William Beveridge, Social Insurance and Allied Services, https://www.sochealth.co.uk/national-health-service/public-health-and-wellbeing/beveridge-report/

[28] Vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-golanhoehen-werden-zur-naechsten-front-a-1014237.html

[29] Thomas Piketty hat jüngst die Ungleichheit untersucht und kam zu dem Schluß, dass es schon seit den 1970er Jahren zu einer Ungleichverteilung kommt. Er führt aber die Gewinne nicht auf den Kapitalismus in seiner Systematik zurück, sondern er möchte unsystematisch lieber an Schrauben drehen, die die systematischen Auswüchse verhindern. Der Kampf gegen Windmühlen ist vorprogrammiert. Vgl. Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014.

[30] Vgl. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, MEW 23, Berlin 2005, S. 245 ff.

[31] Ebd., S. 790. Vgl. hierzu auch Fußnote 28.

[32] So ist die Arbeiterklasse affirmativ über die Arbeitsteilung und das gemeinsame Interesse, die eigene Ausbeutung zu verringern, aufeinander bezogen. Negativ aufeinander ist sie durch die Konkurrenz um Arbeitsplätze bezogen. Die Kapitalistenklasse ist positiv durch die technische Abhängigkeit der Einzelkapitale aufeinander bezogen, negativ durch die Bezogenheit der Einzelkapitale auf einen begrenzten Marktmagen (gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate), der Ausspuckt, was zu viel, zu unökonomisch oder einfach zu teuer ist.